Kritik:
Das Interesse am Simulationsgenre ist seit vielen Jahren ungebrochen, obwohl sich so mancher Außenstehende fragen mag, was die Spieler so sehr daran reizt, mit einem Zug von A nach B zu fahren, oder Gemüse auf einem Feld zu ernten. Vor allem Eisenbahnsimulationen erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit und so gab es deshalb auch schon so einige Versuche, auch die Simulation von Straßenbahnen umzusetzen. Passende Strecken-Addons etwa für den Train Simulator von Dovetail wurden dem technischen Aspekt dieser speziellen Fahrzeuge aber nie wirklich gerecht und die Konkurrenz, der LOTUS-Simulator enttäuscht auf Steam mit eher negativen Bewertungen. Mit „TramSim“ ist deshalb nun endlich eine Hoffnung auf dem Markt der Straßenbahn-Simulationen erschienen, die den Ansprüchen der virtuellen Tram-Fahrer womöglich gerecht werden könnte.
Das virtuelle Wien
Der erste Eindruck ist jedenfalls mehr als vielversprechend: Mit einer Grafik, die für das Simulationsgenre außergewöhnlich gut erscheint und es dabei qualitativ durchaus mit der aktuellen Referenz „Train Sim World“ aufnehmen könnte, entführt uns „TramSim“ in die österreichische Hauptstadt Wien. Dort wird auf 25 Kilometern Länge die komplette Fahrstrecke der Straßenbahn Linie 1 nachgebaut und simuliert. Und das so detailgetreu, dass so mancher Wiener Einheimische wohl sagen würde, dass er seine Heimat hier tatsächlich wiedererkennt. Die Straßenführung hält sich recht akkurat an das reale Vorbild, jede Sehenswürdigkeit wurde eingebaut und auch besondere Situationen immer wieder berücksichtigt. Die hübsche Altstadt sorgt dabei für einen kleinen Augenschmaus, während vor allem der Streckenabschnitt rund ums Parlament und die Börse mit einem bemerkenswerten Detailgrad punktet. Das ist für Nicht-Österreicher fast ein wenig wie Urlaub.
Herausforderung auf der Straße
Spannend bleibt das Spiel dabei durchaus: Obwohl wir nur einen Streckenverlauf geboten bekommen, den wir in beide Richtungen abfahren können, gestaltet es sich gar nicht immer so einfach, pünktlich zu bleiben. Auf den Punkt genau müssen wir unsere Straßenbahn an der Haltestelle zum Stehen bringen, sonst gibt es weniger Punkte und der Einstieg dauert wesentlich länger. Doch vor allem die realistischen Straßensituationen machen den Spielspaß aus: Da muss die Straßenbahn auch schonmal quer über die Kreuzung einer Hauptverkehrsstraße, der Spieler die Signale auf Sicht fahrend beachten und sogar die Straßenseite muss auch einmal komplett gewechselt werden. Zusätzliche Abwechslung kommt außerdem durch einen unterirdischen Abschnitt zustande, bei dem wir mehrere Haltestellen durch Tunnel anfahren müssen – und dabei auch andere Signalanlagen zu sehen bekommen.
Lebensmüde Fußgänger
Schade bleibt an der Stelle, dass sich die KI-Fahrzeuge und die NPCs nicht immer glaubwürdig verhalten, was den Spielspaß manches Mal ein bisschen trübt. Die Autos mögen zwar meistens eine recht realistische Fahrweise verfolgen, reagieren aber nicht immer korrekt auf unsere Straßenbahn. Ein lautes Klingeln, das Autofahrer in der Realität auf die Straßenbahn aufmerksam machen würde, wird in „TramSim“ leider zu häufig von den anderen Verkehrsteilnehmern nicht beachtet, was zu Unfällen führt, die im echten Leben wohl so nicht vorkommen würden. Auch die NPC-Fußgänger verhalten sich mitunter recht dumm und laufen gerne lebensmüde über die Straße. Wenn ein Fußgänger trotz mehrfachem lautem Signal immer noch stur auf der Strecke stehen bleibt, ist das dann tatsächlich ärgerlich. Dafür allerdings kann dieses Chaos auch die Herausforderung erhöhen und für glaubwürdige Gefahrensituationen sorgen: Etwa, wenn Fußgänger an einem Umsteigeplatz einfach blind über die Straße laufen – so ergeht es echten Straßenbahnfahrern in der Realität wahrscheinlich auch.
Die bekannte Stimme aus der Straßenbahn
Gelungen ist hingegen umso mehr die detaillierte Simulation der Straßenbahn, die Fans des Genres wohl die meiste Freude bereiten wird. Nahezu jeder Knopf in unsrem Führerstand ist schließlich bedienbar. Das gilt sogar für Live-Kamerabilder aus dem Einstiegsbereich, die wir beim Halten an einer Haltestelle verfolgen können. Auch die Türsteuerung lässt sich manuell ein- und ausschalten, wie dies in einer echten Straßenbahn der Fall ist. Und besonders gefallen werden vermutlich die realen Haltestellenansagen während der Fahrt, die so von der originalen Wiener Straßenbahn übernommen wurden. Schade: Die Funktionalität zum Weiter- oder Zurückschalten der Ansage wurde leider nicht eingebaut. Aktiviert man einen Fahrplan daher zu spät, führt dies leider zu dem Problem, dass die Ansagen auf der gesamten Fahrt hinterher hinken. Da sollte noch nachgebessert werden.
Überschaubarer Umfang
Ob „TramSim“ obendrein Langzeitspaß bietet, darüber darf man sich aktuell noch streiten. Der Umfang des Spiels ist schließlich noch zu gering, um den Spieler dauerhaft am Ball zu halten. Mit nur einer einzigen Strecke und einer einzigen Linie reicht die Abwechslung einfach nicht aus. Da dürfte schnell der Moment eintreten, an dem das ständige Wiederholen der gleichen Fahrt auf Langeweile stößt. Leider wird nämlich auch nur ein einziges Fahrzeug mit einem einzigen Repaint mitgeliefert, nämlich der Flexity in klassischer rot-weißer Lackierung. Das ein oder andere ältere Straßenbahn-Fahrzeug wäre hier wünschenswert gewesen. Zumal eben auch Szenarien praktisch nicht vorhanden sind: Wir können hier lediglich nach Fahrplan fahren. Besondere Szenarien mit Baustellen, Umleitungen, besonderen Verzögerungen und anderen unvorhergesehenen Ereignissen, wie es sie etwa beim „Train Simulator“ gibt, suchen wir leider vergebens.
Kurzweilige Challenges
Dafür halten uns immerhin die „Challenges“ bei Laune. Darin kann man sich in einem Wettbewerb mit anderen Spielern messen, bei dem es unter anderem um perfektes Bremsen geht. Das ist immerhin kurzweilig unterhaltsam, wenn der Reiz der Fahrplanfahrten ein wenig nachlässt. Auch ein Hotseat-Modus, bei dem wir einen lokalen Multiplayer mit zwei Spielern am gleichen PC spielen können, wurde eingebaut. Warum ein vergleichbarer Online-Multiplayer allerdings fehlt, darüber darf man sich an dieser Stelle sicherlich wundern. Ob das am Ende reicht, um die Spieler länger als 5 Stunden zu motivieren, bleibt allerdings fraglich. Interessant ist hingegen, dass „TramSim“ stattdessen eine hervorragende Basis für weitere Addons bietet, in dem wir womöglich zukünftig auch weitere Strecken und Linien geboten bekommen, die wir in einem technisch guten Gerüst spielen dürfen – und das dürfte für ein Spiel dieser Art sicherlich das wichtigste Argument sein.
Auch Spiele bekommen Corona
Bis dahin sollte und dürfte es aber vermutlich noch zahlreiche Updates und Patches geben, denn vor allem bei den kleinen Details gibt es noch einige Punkte zu verbessern: Die Vielfalt etwa der vorhandenen Fahrzeuge und Fahrgäste ließe sich noch deutlich erweitern. Gefühlt sehen wir immer wieder die gleichen Autos. Busse, Lastwagen oder gar Motorräder fehlen komplett. Auch bei den Fahrgästen stoßen wir ausschließlich auf gesunde erwachsene Passagiere, Kinder, Familien mit Kinderwägen oder Behinderte suchen wir vergebens – obwohl sogar eine funktionierende Taste für eine verlängerte Türphase integriert ist, die die Tür für Rollstuhlfahrer und Kinderwägen etwas länger offen lässt. Dafür gibt es aber ein kleines Gimmick für die aktuelle Situation: „TramSim“ bekam nämlich einen optionalen COVID-Modus spendiert, in dem wir wahlweise die Maskenpflicht einschalten können, durch die dann alle unsere Fahrgäste eine Maske während der Fahrt tragen. Ob man so etwas aber unbedingt auch noch in einem virtuellen Spiel sehen möchte, muss jeder für sich entscheiden. Standardmäßig ist das Feature jedoch zunächst abgeschaltet. Dem Eintauchen in eine „bessere“ virtuelle Welt steht also nichts im Wege.
Fazit:
Mit einer 25 Kilometer langen Strecke durch Wien liefert „TramSim“ den ersten ernstzunehmenden Straßenbahn-Simulator, der mit einer technisch gelungenen Simulation und einer überraschend hübschen Grafik überzeugt. Der Umfang ist dabei allerdings noch ausbaufähig und auch diverse kleinere Bugs sollten noch behoben werden, das Grundgerüst bietet jedoch das Potential für eine zukünftig umfangreiche Basis der Tram-Simulationen.