Kritik:
Die ersten beiden Staffeln von „The Walking Dead“ gelten als zwei der besten Abenteuer der vergangenen Jahre und konnten vor allem erzählerisch verdammt gut überzeugen. Nun hat sich Telltale Games allerdings ein bisschen von der alten Story rund um Clementine entfernt und schickt uns mit Michonne auf die Reise, die wir auch schon auf der gleichnamigen Fernsehserie kennen.
Comic, statt Serie
Generell sei dabei allerdings erwähnt, dass sich das Spinoff „Michonne“ nicht ganz an der TV-Serie orientieren mag. Stattdessen ist das Spiel weit näher an den Comics und spielt daher genau zwischen den Heften 126 und 139, also in der Zeit, in der sie sich von Rick und ihrer Gruppe entfernte und wie sie anschließend wieder zu ihr zurück gelangte. Doch charakterlich dürfte sie sich zwischen Serie und Comic nur relativ wenig unterscheiden: Auch hier zeigt sie sich von ihrer unnahbaren und harten Seite. Stetiges Misstrauen gegenüber allen Menschen sind ihr ständiger Begleiter. Das macht sie vor allem hinsichtlich der Charakterzeichnung interessant, zumal es Telltale bereits in der ersten Episode gelingt, sie auch von ihrer sanften und liebevollen Seite zu zeigen. Auch, wenn sie durch ihre Lebensgeschichte gezeichnet, nicht immer leicht im Umgang mit anderen Menschen ist.
Sehnsucht nach Clementine
Es mag dabei sogar den ein oder anderen Spieler enttäuschen, dass wir uns nicht mehr um die Geschichte von Clementine kümmern. Einen echten inhaltlichen Zusammenhang zwischen Michonne und Clementine konnten wir bei der ersten Episode jedenfalls nicht finden, sodass „The Walking Dead: Michonne“ eine völlig alleinstehende Geschichte erzählt. Und die wirkt auf den ersten Blick sogar um einiges kleiner, befinden wir uns doch mit einer recht überschaubaren Gruppe auf einem kleinen Segelboot und werden uns abgesehen von den ersten paar Szenen, fast ausschließlich an drei Locations aufhalten. Der Einstieg ist also zunächst nicht ganz so einfach und emotional, weil uns hier eine echte Vorgeschichte fehlt, wie sie wohl in ihre jetzige Situation gekommen sein mag. Trotzdem kann das neue Spinoff allerdings schnell durchaus unterhalten.
Harte Entscheidungen
Da wir bisher noch keinerlei emotionale Bindung zu den übrigen Figuren haben, wirken die Entscheidungen, die wir im Spinoff treffen können, auch nicht immer so emotional und tiefgehend. Selbst dann, wenn es um Leben und Tod zu gehen scheint. Dafür berühren uns die Charaktere einfach noch zu wenig, als dass die Entscheidung über den Tod tatsächlich für uns von Relevanz zu sein scheint. Ein bisschen spektakulärer wird deshalb ein Verhör, auf das wir uns in „Michonne“ einlassen müssen. Die Entscheidung, ob wir lediglich uns selbst schützen wollen oder uns für Menschen einsetzen, die wir gerade eben erst getroffen haben, ist nicht unbedingt eine leichte und lässt den Spieler schnell sich selbst reflektieren. Wird uns die mangelnde Bindung davon abhalten, diesen scheinbar liebenswerten Mitmenschen zu helfen, obwohl uns die gegenseitige Unterstützung sinnvoll erscheinen mag? Eine durchaus interessante Frage.
Kompaktes Spinoff
Insgesamt wirkt „The Walking Dead: Michonne“ aber inhaltlich noch recht kompakt und scheint auf den ersten Blick keine allzu große und weitreichende Story zu erzählen. Mit weniger als neunzig Minuten Spielzeit und einer fast ausschließlich auf die Hauptfigur konzentrierte Storyline scheint die Komplexität ein bisschen zu fehlen. Obwohl Michonne auch dieses Mal wieder einen sehr coolen Eindruck macht, denn das obligatorische Katana und ihre geliebte Machete dürften einmal mehr nicht fehlen. Das führt allerdings auch dazu, dass das Spiel auf den ersten Blick ein wenig den Eindruck erweckt, sogar einen kleinen Tick brutaler zu sein, als die beiden Staffeln mit Clementine. Hier werden also prompt Schädel gespalten, Köpfe brutal abgehackt und anderlei blutige Gräueltaten gegenüber Zombies begangen. Und auch die Menschen sind hier alles andere als nette Gesellen.
Dieselbe Prozedur…
Davon abgesehen handelt es sich bei dem Spinoff aber spielerisch um praktisch dasselbe, was wir auch schon bei den anderen beiden „The Walking Dead“-Spielen von Telltale gewohnt sind. Ein bisschen Quicktime-Events, ein bisschen Multiple Choice auf Zeit und dazwischen erkunden wir relativ linear die nähere Umgebung nach Gegenständen und Hinweisen. Immerhin: Dieses Mal dürfen wir auch eine Kombo aus Quicktime-Events durchführen und damit ein bisschen komplexer kämpfen, was sich aber als nicht besonders anspruchsvoll herausstellen dürfte. Ansonsten kann man zumindest grafisch ein paar Verbesserungen feststellen, obwohl es natürlich wie gewohnt beim üblichen Comic Look bleiben mag. Allerdings scheinen die Umgebung, die Flora und die Charaktere ein wenig detaillierter und plastischer zu erscheinen.
Fazit:
Während man spielerisch praktisch dasselbe bietet, wie in den ersten beiden Staffeln, kann das Spinoff durch gute Charakterzeichnung und eine spannende Story bereits in der ersten Episode überzeugen. Wer also an der Geschichte um Clementine bereits Gefallen gefunden hat, wird auch hier seinen Spaß haben.