Black Mirror wird spielbar
Seit vielen Jahren wird sich darüber gestritten, ob Computerspiele tatsächlich Kunst sein können. Ausgerechnet aber ein deutscher Spielepublisher stellt mit seinen zahlreichen Eigenproduktionen immer wieder erneut unter Beweis, dass besondere Stilmittel und außergewöhnlich starke Geschichten diese Frage eigentlich leicht beantworten müssten. Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass ihr neuestes Werk „State of Mind“ nicht einfach nur ein klassisches Abenteuerspiel geworden ist, sondern praktisch ein spielbarer Thriller über unglaublich komplexe, schwierige Themen und eine dystopische Zukunftsvision. Ein bisschen wie eine Mischung aus dem Kult-Film „Matrix“ und der Netflix-Serie „Black Mirror“ – nur, dass der Spieler hinter Maus und Tastatur hier selbst in die Rolle gleich mehrerer Protagonisten schlüpfen kann.
Transhumanismus in der Cloud
„State of Mind“ gelingt es dabei, eine aufregende vollständige Welt zu erschaffen, in der man die Zukunft unserer heutigen technologischen Entwicklungen ein wenig weitergedacht hat. Intelligente Androiden mit Denkfähigkeit und Emotionen bevölkern die Straßen und Wohnungen, die totale Überwachung mittels Drohnen, persönlichen IDs und Bewegungsprofilen innerhalb einer Cloud sind allgegenwärtig und auch Autos fahren inzwischen vollkommen autonom. Und doch so erschreckend realitätsnah, beachtet man die heute bereits verfügbaren Möglichkeiten und Technologien, die denen in diesem dystopischen Szenario ähneln. Da kann letztendlich also nur noch eine finale entscheidende Frage bleiben: Gelingt der Menschheit der Schritt zum Transhumanismus und schlussendlich eins mit der Technologie und der Cloud zu werden? Oder bedeutet das am Ende der Untergang des biologischen Lebens, weil sich der Mensch mithilfe von Computern und künstlicher Intelligenz selbst ersetzt?
Die Grenzen der Realität
Inhaltlich greift das Spiel dabei ein faszinierendes Szenario auf, das Science-Fiction-Fans unter anderem schon in einer Folge von „Black Mirror“ zu sehen bekamen: Die Möglichkeit, eine komplette Kopie eines Gehirns, die gesamte Persönlichkeit eines Menschen in eine Cloud hochzuladen und dort innerhalb einer detailreich simulierten virtuellen Umgebung als unsterbliches digitales Wesen für immer leben zu lassen. Die Erschaffung einer virtuellen Utopie, um die Probleme der Menschheit ein für alle mal zu beseitigen. Dass ein solcher spielbarer Thriller natürlich auch seine „Mindfuck-Momente“ hat, sollte klar sein: Die Grenzen zwischen Realität und virtueller Umgebung verschwimmen immer mehr und wie im Film „Matrix“ weiß vielleicht bald keiner der Protagonisten mehr, welche der beiden vermeintlichen Realitäten nun tatsächlich existiert. Dass „State of Mind“ mit seiner faszinierenden Story schnell seine Spieler in den Bann zieht, sollte damit wohl klar sein.
Eine doppelte Persönlichkeit
Schade ist dann allerdings, dass das Spiel in seinem mittleren Abschnitt durch wiederholende Spielelemente ein wenig an Fahrt verliert und mitunter auch ein wenig vorhersehbar werden kann. In „State of Mind“ spielen wir nämlich abwechselnd gleich zwei Charaktere, die eigentlich dieselbe Person sind: Richard Nolan und Adam Newman – der eine ist die vermeintlich reale, biologische Person, der andere eine virtuelle Kopie seiner Selbst. Und während sich Richard auf die Suche nach seiner Familie macht, ist es unsere Aufgabe als Adam, Daten zu sammeln, diese an Richard zu schicken und sich letztendlich wieder an wichtige Ereignisse im realen Leben zu erinnern. So spannend das beim ersten Mal auch klingen mag, ist das etwas zu simple Lösen von Mosaik-Rätseln auf Dauer ein wenig unmotivierend.
Anspruchslose Rätsel
An dieser Stelle macht es „State of Mind“ dem Spieler nämlich etwas zu einfach. Dass wir tatsächlich einmal mehr als zwei Minuten an einem einzigen Rätsel tüfteln mussten, kam im gesamten Spielverlauf praktisch nicht vor. In den meisten Fällen müssen wir lediglich ein Erinnerungsfoto mithilfe der richtigen Puzzleteile wieder zusammensetzen und klicken uns praktisch einfach nur durch. Andere Rätsel bestehen dann wiederum aus dem einfach Zuordnen von Informationen, oder dem Bewegen der Maus, um zwei Kugeln übereinander zu legen oder den Cursor innerhalb eines Fokusbereichs zu halten. Hinsichtlich des spielerischen Anspruchs kann das vermutlich jeder lösen, der halbwegs in der Lage ist, eine Maus zu bedienen. Gerade auf Grund der Tatsache, dass sich die komplexe Story ohnehin an eher erwachsene Spieler richtet, hätte man die Rätsel durchaus etwas schwieriger gestalten können.
Fokus auf den Storyfluss
Womöglich ist die Einfachheit der Rätselmechanik aber auch so gewollt, um den Spieler nicht zu lange von der Story abzuhalten. Immerhin liegen da sowohl der Fokus, als auch die Stärken des Spiels. Durch den Einbau von spannenden Nebengeschichten um die Roboter innerhalb von „State of Mind“ gelingt es dabei sogar, an große Titel wie „Detroit Become Human“ anzuknüpfen. Schade ist an der Stelle allerdings, dass sich Daedalic leider dazu entschieden hat, die Figuren in einem Low-Poly-Design zu gestalten, um das Spiel noch kunstvoller erscheinen zu lassen. Leider hat genau das aber auch den Nachteil, dass diese Grafik kaum in der Lage ist, große Emotionen abzubilden, weil die Schwächen vor allem bei der Mimik der Figuren sichtbar werden. Nicht selten wirkt Richard Nolan dadurch etwa wie ein wandelnder Pixelklotz und kann mangels Gesichtsfalten und ausreichender Ausdrucksweise seiner Mundwinkel – anders als etwa die Roboter in „Detroit: Become Human“ – die eigenen Gefühle nur schwer rüber bringen.
Gesichter sind nur Pixel
Insgesamt ist die Story zwar stark genug, um die Spieler langfristig zu fesseln, doch hätte es „State of Mind“ ohne Zweifel gut getan, auf den künstlerischen Aspekt bei der Optik zu verzichten und stattdessen auf eine realistischere Grafik zu setzen. Auch wenn man natürlich zugeben muss, dass das Spiel dadurch keineswegs hässlich, sondern lediglich „speziell“ aussieht. Nicht zuletzt auch durch die Tatsache, dass die Welt selbst mitsamt seiner Umgebungen und Häuser wesentlich realitätsnaher und insgesamt sogar recht hübsch gestaltet wurden. In der futuristischen Welt von Berlin und der virtuellen City 5 kommen hier vor allem Lichteffekte wie Leuchtreklamen, Straßenbeleuchtungen oder Fahrzeuge besonders eindrucksvoll rüber und unterstreichen damit die dystopische Grundstimmung von „State of Mind“. Atmosphärisch funktioniert das Setting also trotz seiner kleinen Schwächen hervorragend.
Reden ist alles
Da ist es dann eigentlich schade, dass „State of Mind“ abseits der grandiosen Story und der gelegentlichen, einfachen Rätseleinlagen insgesamt spielerisch recht banal bleibt. Während wir abwechselnd die beiden Charaktere spielen, entpuppt sich die Spielwelt nämlich als recht klein. Für jeden Charakter gibt es im Prinzip nur drei bis vier echte Locations, die wir immer wieder erneut aufsuchen. Und anstelle von Kombinationsrätseln anhand unseres Inventars erwarten uns dort vor allem Gespräche mit anderen NPCs, Gespräche über eine Art Hologramm-Telefon, ein paar Recherchen innerhalb der Cloud und andere, ähnlich recht banale Dinge. Insgesamt reicht das natürlich aus, um die Story voran zu bringen und durch Erkenntnisse in Gesprächen immer tiefer in eine Story aus Verschwörungen und Geheimnissen vorzudringen. Wer allerdings gehofft hat, in „State of Mind“ ein umfangreiches Open World-Spiel mit riesiger Spielwelt vorzufinden, wird schnell enttäuscht werden – und das, obwohl wir uns derartiges bei diesem Setting umso mehr gewünscht hätten. Tatsächlich aber handelt es sich eben um ein künstlerisch wertvolles, aber eben kleines Spiel von einem vergleichsweise kleinen Publisher. Und der macht, was er am besten kann: Einzigartige Geschichten erzählen, die wir so noch in keinem anderen Spiel erlebt haben.
Fazit:
Mit seiner überwältigenden Story rund um Transhumanismus und virtuelle Realitäten bietet „State of Mind“ eine intensive Handlung, die für Spiele auf diese Weise einzigartig ist. Die dazugehörige Low-Poly-Grafik unterstreicht dabei zwar einen künstlerischen Aspekt, behindert aber vor allem die Darstellung von emotionaler Mimik und auch bei der spielerischen Gestaltung der Rätsel verfügt das Spiel über einige Schwächen. Eine großartige Atmosphäre, diverse Mindfuck-Momente und die Beschäftigung mit zahlreichen philosophischen Fragen machen „State of Mind“ aber zu einem beeindruckenden spielbaren Thriller und einem echten Geheimtipp.