Kritik:
Es war einmal wirklich lange Jahre still im Bereich der 4X-Rundenstrategie. In den 90ern feierte dieses Genre schließlich seine besten Zeiten: Klassiker wie „Master of Orion“ oder „Birth of the Federation“ sorgten für langanhaltenden Spaß und durchgemachte Nächte vor dem heimischen Bildschirm. „Stardrive“ vom recht kleinen holländischen Publisher Iceberg Interactive will daran nun ansetzen und sorgte vor einem Jahr für ein Comback der 4X-Strategie.
Leere Versprechungen
Schaut man sich die diversen Bewertungen auf Steam an, so könnte es sich bei „Stardrive“ eigentlich um ein eher schlechtes bis durchschnittliches Spiel handeln. Das hat sich Iceberg Interactive letztendlich selbst verbockt, als er das Strategiespiel einst in der Early Access-Phase veröffentlichte. Die umfangreichen Ankündigungen waren groß und viele Inhalte wollte man noch in das Spiel einbauen. Dazu zählten auch ein Multiplayer-Modus und einige Verbesserungen in den Spielfunktionen, die seinerzeit noch recht unfertig wirkten. Nun, etwa 1 ½ Jahre nach dem Release, hat man den zweiten Teil längst angekündigt und in der Entwicklung – doch der versprochene Multiplayer-Modus fehlt immer noch. Das sorgt für Verärgerung der frühen Kunden und natürlich auch für negative Bewertungen. Schade eigentlich, denn im Grunde ist „Stardrive“ ein richtig gutes Spiel. Hätte man doch einfach nur nichts versprochen, was man dann nicht halten kann.
Die Galaxie gehört mir
Ganz nach dem klassischen 4X-Strategieprinzip erinnert uns „Stardrive“ nämlich schon optisch sehr an den Klassischer „Master of Orion“. Direkt nach dem Start des Spiels sehen wir eine zufallsgenerierte Galaxienkarte variabler Größe aus der Vogelperspektive und können von unserem Heimatplaneten aus damit beginnen, den Weltraum zu erforschen und zu kolonisieren. Abhängig davon, welche Größe wir für die Galaxienkarte auswählten, dauert es unterschiedlich lange, bis wir den Erstkontakt mit anderen Spezies aufnehmen, die nicht immer allesamt friedlich gesinnt sind. Mit der passenden Ökonomie stellen wir also Raumschiffe her und expandieren unser Imperium. Durch Erforschen finden wir sowohl neue Sonnensysteme und Spezies, als auch wichtige Informationen über die Planeten. Manche sind für uns unbewohnbar, andere nur mit entsprechenden technischen Hilfsmitteln und wieder andere bieten hervorragende erdähnliche Bedingungen. Schade ist nur, dass es an Zufallsobjekten wie schwarzen Löchern, Wurmlöchern, Neutrinosternen und ähnlichen Phänomenen mangelt. Lediglich der Warpantrieb wird durch Weltraumphänomene schon einmal außer Gefecht gesetzt oder Planeten verlassen ihre bisherige Umlaufbahn.
Mikromanagement
Wie gewohnt müssen wir allerdings auch darauf achten, dass sich die Produktion auf dem Planeten in der Balance halten. Die Nahrung muss für die maximale Bevölkerungszahl ausreichen, während dessen Produktion wiederum Geld kostet. Die Produktion und die Forschung müssen vorangetrieben werden, als auch der Planet mit Verteidigungssystemen geschützt werden. Das alles kostet Geld und Ressourcen, doch Bankensysteme und Bevölkerungszahl bringen dieses auch wieder ein. Eine Balance ist also nötig und kann sich abhängig vom Rohstoffaufkommen und der Bewohnbarkeit des Planeten mitunter stark unterscheiden. Auch können Prioritäten unterschiedlich festgelegt werden, sodass wir uns auf Nahrung, Produktion oder Forschung spezialisieren können. Einmal aus der Balance kann das katastrophale Folgen haben – zumal bei fortschreitendem Spielverlauf auch schonmal die halbe Galaxie zu verwalten ist. Was umständlich ist, da wir die Planeten überwiegend selbst verwalten müssen. Doch das gehört eben zu diesem Genre auch dazu.
FTL lässt grüßen
Gelungen ist außerdem das Schiffssystem, mit dem wir mittels Schiffswerft auf den Planeten nicht nur neue Raumschiffe bauen können, sondern entsprechend den erforschten Technologien auch eigene Schiffe entwickeln können. In einer Oberfläche, die stark dem Strategiespiel „Faster Than Light“ ähnelt, können wir also eine Rumpf wählen und beliebig mit Schilden, Hüllenpanzerung, Waffen und weiteren wichtigen Elementen ausstatten, um unsere Schiffe variabel ganz nach unseren Vorlieben zu designen. Das ist nicht immer einfach, zumal wir genauestens auf die Energieverteilung achten müssen und auch zwingend ein Cockpit und ähnliches brauchen. Kann aber auf der anderen Seite auch den entscheidenden Vorteil im Kampf liefern und bietet uns interessante Einsatzmöglichkeiten. So können wir ein Schiff sowohl für das planetare Bombardement ausstatten, als ihm auch zugleich einen Truppentransporter liefern – damit ist nicht nur Angriff auf feindliche Planeten möglich, sondern gleichzeitig auch das Absetzen von Bodentruppen. Oder aber wir kombinieren ein Kolonisationsmodul auf einem großen Rumpf mit starken Weltraumwaffen – schon haben wir ein starkes Kolonieschiff, das sich auch gegen Angriffe wehren kann. Der Vorteil gehört damit schnell uns. Gerade deshalb ist ein fehlender Multiplayer-Modus schade, denn damit hätten wir unsere Konstruktionsfähigkeiten auch gegen echte Spieler unter Beweis stellen können, die selbst ausgeklügelte Schiffe gestalten.
Zwischen Frieden und Krieg
In einem solchen Genrespiel darf natürlich auch das Diplomatiesystem nicht fehlen. Insgesamt sieben andere außerirdische Spezies können wir in unserer Galaxie antreffen und mit ihnen diplomatische Beziehungen pflegen. Die Möglichkeiten sind hier allerdings rudimentär und beschränken sich auf Friedens- und Handelsbeziehungen, Kriegserklärungen, Nichtangriffspakt, sowie den Austausch von Technologien und Kolonien. Mit dem nötigen Geschick und ein paar Geschenken kann man dabei so manche Spezies zu seinen Gunsten überreden. Schade ist allerdings, dass vor allem der Tausch von Technologien oft einseitig verläuft, denn die KI-Gegner machen diesbezüglich nur selten Angebote. Die Computereinheiten beschränken sich dabei meist auf Kriegserklärungen und Friedens-/Handelsangebote. Etwas zu einfach, finden wir. Umso gelungener ist allerdings die charakteristische Gestaltung der KI-Spezies, die sich deutlich unterscheiden. Von ängstlichen Pazifisten, über gefühlslose Roboterspezies und eiskalte Objektivisten, finden wir auch aggressive und kriegerische Spezies vor. Leider können kleine Missgeschicke selbst bei vertrauenswürdigen Verbündeten schnell Konsequenzen haben.
Spionage und Sabotage
Passend zum Diplomatiesystem gibt es natürlich auch ein Spionagesystem, welches zu den einfachsten zu steuernden Funktionen gehört. Mit ein bisschen Geld kann man so neue Agenten einstellen, sie ausbilden oder gegen einen bestimmten Feind ins Rennen schicken. Ob Diebstahl von Technologien, Sabotage von Gebäuden, Ermordung feindlicher Agenten oder Infiltration von Planeten – mit einem Klick schicken wir sie ins Rennen und dürfen abhängig vom Level des Agenten auf dessen Erfolg hoffen. Dieser wiederum erhöht sich durch Training und erfolgreiche Missionen. Der Tod eines Agenten ist jedoch während einer Mission keineswegs ausgeschlossen. Werden wir dabei entdeckt, kann dies außerdem Attentatsversuche durch den Gegner zur Folge haben. Gut durchdacht. Etwas mehr Tiefgang hätten wir uns allerdings doch gewünscht, denn speziell bei Infiltration und Sabotage würden wir die Agenten gern auf ganz gezielte Planeten ansetzen können – geht aber leider nicht. Welcher gegnerische Planet dann betroffen ist, hängt vom Zufallsprinzip ab.
Handel nach Irgendwo
Ähnlich zufällig läuft es dann übrigens beim Transport von Gütern ab. Schafft es ein Planet anhand seiner Rohstoffe nämlich nicht, die Produktion selbst voranzubringen oder genügend Nahrung sicherzustellen, müssen Frachtschiffe sich auf den Weg machen, um von einem rohstoffhaltigen Planeten die nötigen Produkte auf einen weniger ertragreichen Planeten zu bringen. Mittels kleiner „Import / Export“-Einstellung bei den Schiebereglern für Produktonsfokussierung wählen wir dabei aus, was benötigt wird und was im Überschuss vorhanden ist und die Schiffe machen sich vollautomatisch auf den Weg. Welches Schiff dabei welchen Planeten anfliegt, wird allerdings ebenso automatisch geregelt, wodurch es durchaus vorkommen kann, dass bestimmte Planeten mehrfach angeflogen werden, andere jedoch gar nicht. Auch hier hätten wir uns gewünscht, genaue Routen zwischen zwei Planeten festlegen zu können, wie dies beispielsweise bei den Schiffen in den „Anno“-Spielen möglich ist. Zumal der Herstellungsort des Schiffes immer automatisch auch als Güterquelle dient, selbst wenn wir dort alles auf „Import“ stellen. Um von einem anderen Planeten zu exportieren, müssen wir die Frachtschiffe auch dort produzieren. Ziemlich umständlich, erst recht, wenn das Einschränken von Routen nicht weniger kompliziert abläuft.
Offene Grenzen – doch wofür?
Dass „Stardrive“ eigentlich bis heute nie vollständig fertiggestellt wurde, sieht man allerdings an anderer Stelle. Etwa dann, wenn wir über das Diplomatiesystem über offene Grenzen und Handelsabkommen diskutieren können, diese jedoch ohne jegliche Auswirkungen bleiben. Da hat man zwar die Möglichkeit, die Grenzen zwecks Handel zu öffnen, Handelsrouten kann man allerdings nicht anlegen. Ebenso haben wir keinerlei Schiffe gesehen, die tatsächlich zu unseren Planeten reisen, um Handel zu betreiben. Das Handelssystem mit anderen Spezies wurde schlichtweg gar nicht erst eingebaut, die Diplomatiefunktionen hierfür bleiben also nutzlos. Schade. Ähnliches gilt dann leider auch für das Flottensystem, das zwar eigentlich vorhanden ist, aber kaum sinnvoll angewendet werden kann. Das Steuern von zusammengestellten Flotten funktioniert eher schlecht, zumal immer nur die Schiffsfunktionen zur Verfügung stehen, die von allen Schiffen zugleich angeboten werden. Kombinieren wir ein Frachtschiff und ein Kampfschiff, so ist der Frachttransport plötzlich nicht mehr auswählbar. Da wäre eigentlich Nachbesserung nötig – doch auf die kann man wohl eher nicht mehr hoffen.
Suchtfaktor mit zweckmäßiger Grafik
Dennoch kann „Stardrive“ vor allem Fans der 4X-Strategie durchaus begeistern. Lassen wir die zwei oder drei unvollständig integrierten Funktionen einmal außen vor, so macht das Erkunden, Expandieren, Erforschen und Erobern doch Spaß, denn die für das Genre wichtigsten Spielelemente wurden eingebaut und motivieren über viele Stunden. Damit kann auch dieser Titel zu einem Strategiespiel werden, dass uns bis in die frühen Morgenstunden an den heimischen Rechner lockt. Nichts desto trotz kann man inhaltlich mit den Klassikern „Master of Orion“ und „Birth of the Federation“ leider nicht mithalten, außer dass die Grafik eben doch ein wenig hübscher aussieht. Während „Master of Orion“ mittlerweile zwanzig Jahre alt ist und optisch kaum mehr erträglich scheint, so setzt „Stardrive“ die damalige technische Tradition fort: Mit zweckmäßiger Grafik sorgt man nicht für einen Augenschmaus, aber für eine zeitlich angemessene Optik und viel Übersicht – auf letzteres kommt es bei diesem Genre schließlich mehr an, angesichts des vielen Mikromanagements.
Fazit:
Mit leeren Versprechungen und unvollständig implementierten Inhalten verärgerte das 4X-Strategiespiel anfänglich viele seiner frühen Käufer aus der Early Access-Phase – mittlerweile sorgt „Stardrive“ aber trotz einzelner Schwächen für eine hohe Langzeitmotivation und erinnert gezielt an diverse Genreklassiker.