Damit gab es schon zwei erste Highlights des Festival-Wochenendes, die dieses Mal nicht einfach nur einen gewöhnlichen Aufritt hinlegten. Lord of The Lost ließ es sich natürlich nicht nehmen, die gemeinsam mit zahlreichen anderen Bands der Szene geschriebene Mera Luna-Hymne “Ordo Mera Luna” gemeinsam mit Stimmgewalt auf der Bühne zu präsentieren. Zum ersten Mal wurde das auch mit einem hübschen Feuerwerk über der Bühne begleitet, während der Vollmond passenderweise direkt dahinter auf das Publikum strahlte. Unterdessen wurde vielen Besuchern auch schnell klar: Soundtechnisch hat das Mera Luna an der Main Stage ein wenig aufgerüstet. Lord of the Lost überzeugten als erster Headliner mit fettem Sound, der über das gesamte Infield hinweg überzeugte.
Dieser Auftritt geht in die Festival-Geschichte ein: Heilung bei einem religiösen Pagan-Ritual
Für die meisten Besucher stand danach trotzdem fest: Der Besuch auf dem Mittelaltermarkt ist obligatorisch. Schließlich kennt man inzwischen zahlreiche Freunde und Bekannte auf dem Festival, campt vielleicht sogar inzwischen mit einer großen Gruppe aus über zehn Leuten. Der Mittelaltermarkt lädt hier immer wieder zum Verweilen ein – auch weil es hier eine gute Auswahl an Met und belgischem Bier gibt. Trotz der milden Nachttemperaturen, die das Zelten auf der Campsite sehr angenehm machten, gab es hier auch gemütliche Feuerstellen, eine eindrucksvolle Feuershow und eine kleine Mittelalterband, die vor allem jene Besucher begeisterte, die sich auch der Mittelalterszene zugehörig fühlten.
Am ersten “offiziellen” Festival-Tag, dem Samstag, ging es dann bereits am späten Vormittag auf gleich zwei Bühnen los. Während die Main Stage oftmals mit den großen Rock- und Mittelalterbands überzeugt, versammeln sich die Cybergoths, EBMler und Electroheads oftmals zu härteren elektronischen Klängen vor der Club Stage. Bands wie Ambassador 21 oder Funker Vogt warteten dort bereits auf ihr Publikum, während Heimataerde und Tanzwut auf der Main Stage die Mittelalterfans ansprach.
Kontrastprogramm nach Heilung: Eisbrecher treten gemeinsam mit Joachim Witt auf
Nach den großartigen Apocalyptica dann auch schon eine der bemerkenswertesten Bands, die jemals auf dem Mera Luna gewesen sind: Die Pagan-Folk-Band Heilung dürfte einen der außergewöhnlichsten Auftritte der Festival-Geschichte hingelegt haben. Ihre Konzerte erinnern dabei eher an ein nordisch-religiöses Ritual, als an ein Konzert. Die Bühne aufwändig dekoriert mit Bäumen und Pflanzen, in der Mitte ein Kreis, auf dem sich die Bandmitglieder zu ihrem Ritus treffen. Das Publikum beachten sie kaum, ganz als wären sie während ihres Rituals in eine Art Trance versunken. Das Publikum ist zwiegespalten: Die einen feiern den Auftritt, bei dem sie eher passiv der religiösen Zeremonie beiwohnen, die anderen können damit gar nichts anfangen. Auf beeindruckende Weise außergewöhnlich ist der Auftritt aber dennoch – und er wird sicher lange in Erinnerung bleiben.
Gleich danach Eisbrecher als Headliner auf die Bühne zu schicken, ist da schon ein geradezu gewagter Kontrast. Die rockigen Gitarrenriffs der Band aus dem Genre der Neuen Deutschen Härte ist da schon deutlich eingängiger und massentauglicher. Hier sind schnell wieder all jene am Start, denen Heilung doch ein wenig zu speziell ist. Doch auch Eisbrecher haben sich zum Jubiläum einige Besonderheiten ausgedacht: Nicht nur spielen sie ihren Hit “Miststück” erstmals in einer akustischen Version, sondern es kommen auch noch einige Gastmusiker dazu: Neben einem Bandmitglied von Schandmaul und einer Gastsängerin, holt Alexander Wesselsky auch noch den legendären Joachim Witt als Verstärkung auf die Bühne. Die gemeinsame Performance des Falco-Covers “Out of the Dark” ist ein würdiger Abschluss des Samstages, der unter die Haut geht.
Festival-Abschluss mit Statement: And One baut die Berliner Mauer auf der Bühne auf – und protestiert damit gegen die Cancel Culture
Am Sonntag und damit dem letzten Festivaltag erwarteten die Besucher nicht weniger beeindruckende Highlights. Neben Beyond Border, die als Gewinner des Newcomer-Wettbewerbs den Tag eröffnen dürfen, wartet vor allem das Bühnen-Comeback von Massive Ego auf der Club Stage. Nach mehreren Jahren Pause zeigt sich Sänger Marc Massive in alter Frische und heizt wieder gewaltig das Publikum ein. In ähnlicher Qualität soll es dann später auch bei Leaether Strip, der inzwischen Solo unterwegs ist und Rotersand weiter gehen. Auf der Main Stage unterdessen wieder Musik für die Mittelalterfans: Corvus Corax und Versengold wissen auch auf einem Gothic-Festival das Publikum zu überzeugen.
Nach den “alten Hasen” aus Blutengel und Subway to Sally erwartet das Publikum dann ein echtes Statement zum Festival-Abschluss. Steve Naghavi von And One gilt in der Szene auf Grund einiger Äußerungen in der Corona-Zeit inzwischen als umstritten. Manche Festivalbesucher forderten deshalb seinen Auftritt zu canceln. Das Mera Luna entschied sich hingegen, ihn als Abschluss-Headliner auftreten zu lassen. Der lässt es sich sogleich nicht nehmen, auf der Bühne die Berliner Mauer samt Grenzbeamter in Uniform wieder aufzubauen und damit ein ziemlich klares, kunstvolles Statement für die Meinungsfreiheit zu bieten. Ein Statement, das bei den 25.000 Besuchern offenbar gut ankam – und zeigt, dass in der schwarzen Szene verschiedenste politische Strömungen nebeneinander friedlich feiern können. Auch das ist Vielfalt.
Fotos: Rene Daners