Nach dem etwa einstündigen Support von Twins in Fear, die als Zwillinge auftreten und zwei Mal die exakt gleiche Gesangsstimme im Duett zu bieten haben (was schon faszinierend genug ist), kündigte ein etwas zehnminütiger Countdown den Main-Act dieses Abends an: Die Grausamen Töchter. Eine Band aus drei bis vier Frauen, die eine Mischung aus Gothic, Electropunk und anderen harten Klängen zu bieten haben. Ein Mainstream-Publikum wäre vermutlich schon bei dessen Gang auf die Bühne ins Staunen gekommen: Die Damen rund um Frontfrau Aranea Peel steigen in knappen Gothic-Erotik-Outfits auf die Bühne, ihre Brüste nur mit kleinen Aufklebern bedeckt. Freizügig wird es hier schon in der ersten Minute. Und das passt zu den schlüpfrigen Texten, zu denen etwa auch der Song “Fickmaschine” gehört. Das eigentlich Faszinierende allerdings dabei: Ein Blick in die Zuschauermenge offenbart, dass sich hier noch keine Miene rührt. Für die Fans von Grausame Töchter, oder gar den Goth im Allgemeinen, scheint dieser Anblick eher Normalität zu bedeuten.
So ist es dann natürlich auch möglich, dass die Band im Laufe ihres Konzertes noch einige Nummern krasser wird: Ein paar Songs später zieht schließlich die Gitarristin blank. Splitternackt taucht sie auf der Bühne auf und lässt sich von ihren weiblichen Bandkollegen auspeitschen, den nackten Hintern willig in die Höhe gereckt. Danach darf Model Elsi Spring ihren Mut unter Beweis stellen: Gleich die nächste völlig nackte Frau kommt auf die Bühne. Und sie verschwindet nicht mehr, denn Elsi wird zu einer Art Deko auf der Bühne und bleibt mindestens eine ganze Stunde splitternackt dort stehen. Sie wird zur Sklavin der Band, darf (oder muss) sich von den BSDM-Ladies um sie herum benutzen lassen. Ob ein Griff an die Genitalien, oder das gewaltsame Abfüllen mit Wodka – Elsi Spring muss hier einiges über sich ergehen lassen und scheint daran sogar ziemlichen Spaß zu haben.
Doch die Grausamen Töchter machen, obwohl sie ziemlich versaute Tätigkeiten andeuten, keine Pornografie. Trotz seines BDSM-Anteils ist dieses Konzert eine Form von Kunst, die Songs folgen einem interessanten Konzept der Provokation. Der Song “Ich darf das”, in dem Sängerin Aranea Peel zahlreiche nicht gesellschaftskonforme Dinge aufzählt, die man eigentlich nicht darf, die Band aber dann doch gerne macht, verdeutlicht den gewollten Tabubruch. Es geht um sexuelle Selbstbestimmung, die Akzeptanz von Praktiken außerhalb des Mainstreams, Freiheit und Andersartigkeit. Und dass das Publikum aus der schwarzen Szene, das hier vor der Bühne steht, auch ein bisschen anders ist, zeigt sich spätestens dann, wenn sie interaktiv mitmachen dürfen: Die Grausamen Töchter packen da auch schon einmal riesige Spritzen mit (hoffentlich künstlichem) Sperma aus und feuern dieses auf das Publikum ab. Normale Menschen wäre da jetzt angeekelt, der Goth hingegen reißt sehnsüchtig seinen Mund auf und kann es gar nicht abwarten, die süße Flüssigkeit doch endlich schlucken zu dürfen. Ganz ohne Zweifel: Ein Konzert der Grausamen Töchter ist ein besonderes Erlebnis. Eines, für das das Publikum eine Offenheit für Dinge abseits gesellschaftlicher Konventionen braucht. Bringt man diese mit, wird dieses Konzert aber womöglich ein unvergessliches.