Das größtenteils eher dem Mainstream-Pop zuzuordnende Publikum wusste hier auch schon, was sie erwartet: “The Dark Tenor” wollte einen Wettkampf zwischen moderner Rockmusik und Klassik veranstalten. Seine Definition dessen, was “Klassik” und “Rock” ist, schien allerdings ein wenig eigenwillig. Sind die Backstreet Boys und Depeche Mode wohl die Klassiker von morgen? Diese Frage jedenfalls nahm er sehr ernst und spielte sodann auch Coversongs genau dieser Künstler. Während ersteres zumindest ein bisschen “Dark” ist, stellte sich doch schnell die Frage, was an den Backstreet Boys denn nun eigentlich Rock sein soll. Bei dem Auftritt, der insgesamt rund 1:45 Stunden dauerte, schaffte es “The Dark Tenor” dann immerhin auf geschätzte zwei richtige Rocksongs. Ansonsten wurde recht eingängige Popmusik für den Mainstream-Geschmack geboten, der ein wenig an DSDS erinnern mag. Immerhin: Durchaus mit einer fantastischen Stimme vorgetragen, die die Bezeichnung “Tenor” tatsächlich verdient hat.
Ähnlich frei interpretierte Billy Andrews allerdings auch seine Vorstellung davon, was Klassik sei. Ein Orchester im Hintergrund, wie man das normalerweise auf “Rock meets Klassik”-Konzerten gewohnt ist? Fehlanzeige. Neben einem Piano fand sich also lediglich ein Cello aus dem 3D-Drucker, das mit seiner Beleuchtung immerhin ein optischer Hingucker war. Aber: Ein Cello auf die Bühne stellen, macht eben noch lange keine klassische Musik. Und so beschränkt “The Dark Tenor” seine klassischen Momente darauf, diverse Passagen etwa von Beethoven in seine Popmusik-Songs einzubauen. Das kann man machen und zeugt durchaus von Kreativität, ist schlussendlich aber eben dennoch Pop statt Klassik. Trotz eines hervorragenden Auftritts mit viel Entertainment und Gesangs-Talent, wirken die Wordings “Dark”, “Rock” und “Klassik” also ein wenig übertrieben.
Die wenigen Besucher aus der schwarzen Szene, die hier womöglich ein Konzert im Stile der Symphonic Tour von Mono Inc. erwartet haben, dürften also vermutlich enttäuscht gewesen sein. Die restlichen Besucher, die hier alle Generationen ausmachten und in starker Überzahl aus Fans der Popmusik bestanden, dürften aber genau das bekommen haben, was sie erwartet haben – und auch aus den Werbevideos bereits kannten: Eher softe, leicht verdauliche und eingängige Popmusik mit einem Sänger, der immer wieder auf sympathische Weise mit dem Publikum interagiert, gerne auch mal durch die Menge läuft und auch Kinder mit in seine Show einbezieht. Entertainment mit musikalisch einwandfreiem Handwerk also kann “The Dark Tenor” – warum also bei den Genreankündigungen so übertreiben?
Richtig mitreißen konnte “The Dark Tenor” dann aber erst und vor allem in der Zugabe. Als Billy Andrews mit ein paar Anekdoten plötzlich das Gedicht “Heidenröslein” von Johann Wolfgang von Goethe spielte, um daraus eine einzigartige und überwältigende Song-Adaption zu machen, bei der seine spektakuläre Stimme als Tenor erst so richtig in Geltung kam. Aber auch bei dem folgenden Rock- und Metal-Medley, bei dem die Gitarrenriffs dann doch erheblich härter wurden, als im gesamten restlichen Konzert. In der Zugabe gab es also endlich den echten angekündigten Kampf zwischen Rock und Klassik. Warum denn nicht gleich das ganze Konzert so?
Fotos: Rene Daners