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  • Nitzer Ebb: Von Oldschool-EBM zum Saw IV Soundtrack
    13. April 2016 | 19:06

    Nicht jeder kennt sie, doch trotzdem hat schon fast jeder einmal einen Song von ihnen gehört: Die britischen EBM-Pioniere von Nitzer Ebb. Fernab des Mainstreams werden sie seit vielen Jahren gefeiert und ihre Platten sind noch heute heißbegehrt. Etliche heutige Musiker der Gothic- und Industrialszene dürften womöglich von ihnen inspiriert worden sein, obwohl das letzte Album offiziell bereits vor sechs Jahren erschien. Selbst zum Soundtrack des ultrabrutalen Horrorfilms Saw IV konnten sie bereits ihren Teil beitragen. Ein Grund genug also, einmal einen genaueren Blick auf diese Band zu werfen, zumal sie ihr letztes Album „Industrial Complex“ mittlerweile auch extra für die Fans auf streng limitiertem Vinyl in drei verschiedenen Farben veröffentlicht haben.

    Hat man die Band allerdings schon von Beginn an verfolgt, dürften dem geneigten Hörer wohl einige Veränderungen aufgefallen sein. Die Briten versuchen mit „Industrial Complex“ schließlich einen Bogen zwischen den guten alten Zeiten und dem modernen elektronischen Stil zu spannen. Das ist für den ein oder anderen gewöhnungsbedürftig, für den Mainstream sowieso, kann aber auch verdammt gut ankommen, denn mancher Song erinnert verdächtig an diverse bekannte Rockbands. Obwohl längst nicht so hart, wie manche Vertreter der Industrial- oder auch Aggrotechszene, kommt bei ihren Songs längst keine Langeweile auf, obwohl sie zwischenzeitlich auch einmal wandlungsfähig sind. Doch worum geht es bei Nitzer Ebb eigentlich?

    Nitzer Ebb

    In erster Linie dürfte es wohl um schnelle, fast schon stakkatoartige Sounds der Electronic Body Music (EBM) gehen. Nicht zu verwechseln mit dem häufig als Synonym für kommerzielle Dancemusik verwendeten EDM, das seit einigen Jahren die Technoszene in verschiedene Geschmacksrichtungen spaltet. Obwohl Nitzer Ebb keineswegs weniger elektronisch zu sein scheint, will Nitzer Ebb aber stilistisch eine gänzlich andere Richtung einschlagen, als wir es vom Kommerz gewohnt sind. Das machen sie auch bereits mit dem ersten Track auf der Doppel-LP klar, wenn “Promises” uns an die guten alten Zeiten erinnert. Immerhin dürfte der Song zu den wohl bekannteren der Band gehören. Hört man sich die recht einprägsamen Lyrics an, verwundert das nicht lange.

    Damit macht die Band allerdings anschließend auch gleich weiter. Auf der ersten Seite des ersten Vinyls versammeln sich regelrecht jene Songs, die Kenner wohl schon aus den einschlägigen Szenediskotheken kennen. Dazu gehört schließlich auch „Once you say“, einer der wohl am häufigsten geremixten Songs der Band. Gleich fast die komplette zweite LP widmet sich den Remixes dieses Werkes, meist schnell und mitunter eine Nummer härter als das eigentliche Album. Da orientiert man sich vor allem an der belgischen Veröffentlichung, die jene Versionen auch schon auf einer CD anbot. Auf Vinyl macht das Ganze aber doch nochmal ein bisschen mehr her.

    Ein bisschen „oldschooliger“ wird es hingegen bei „Never Known“, obwohl die Lyrics wohl mindestens ebenso einprägsam sind, wie noch bei den beiden vorherigen Tracks. Doch mit dem etwas eingängigeren, aber dennoch powervollen Song können sie beim klassischen EBM-Fan schnell punkten. Ähnliche Ambitionen zeigt übrigens auch „I don’t know you“ auf der B-Seite der Scheibe, wo es dann insgesamt ein bisschen langsamer und melodischer wird, aber dennoch längst nicht die volle Vielfalt der Band entfaltet wird.

    Die kommt nämlich schon eher mit „Going Away“ und „I am Undone“ zur Geltung, wenn es vor allem bei ersterem schon fast zu einer Ballade wird. Ein bisschen wie in einem Electro-Blues setzt „Nitzer Ebb“ dann prompt stark auf Gesang statt Bass und Synthesizer. Die tiefe und ausdrucksstarke Stimme von Douglas McCarthy kann hier nämlich voll und ganz zum Einsatz kommen. „I am Undone“ verzichtet unterdessen aber auch nicht auf die nötige Synthiebegleitung, die kurzerhand das Interesse auch beim elektronisch interessierten Hörer wecken kann.

    Die wirklich spannenden Songs für echte Genrefans kommen dann aber wohl erst mit „Payroll“ auf. Warum es ausgerechnet dieses Lied zum Soundtrack von „Saw IV“ geschafft hat, wird derweil auch sehr schnell klar: Hier handelt es sich um einen der härtesten Songs auf dem gesamten Album, vielleicht sogar der gesamten Bandgeschichte. Mit einer kräftigen Bassline, die selbst auf Vinyl ordentlich Dampf erzeugt und schnellen Beats kann der Track dann voll und ganz überzeugen und könnte womöglich auch für die Techno-nahe Fraktion spannend sein.

    Ähnlich setzt sich das ganze dann bei „Down on your knees“ und „Kiss Kiss Bang Bang“ fort, meinen beiden Favoriten. Ich muss schon zugeben, dass ich persönlich eher der härteren Gangart zugeneigt bin und es mir gerade deshalb diese beiden besonders angetan haben. Mit den stakkatoartigen schnellen Synthies und einem discothekentauglichen, tanzbaren Tempo ist dies wohl die beste Wahl für eure Partys. Doch während „Down on your knees“ vor allem auf eher laute, freche Lyrics setzt, geht „Kiss Kiss Bang Bang“ mit seinem Bass richtig nach vorne. So macht Nitzer Ebb erst richtig Spaß.

    Nitzer Ebb

    Gänzlich andere Gefilde und damit recht unytpisch für Nitzer Ebb ist hingegen „Hit you back“. Und damit wird auch klar, wie wandlungsfähig die britische Band tatsächlich ist. Beinahe erinnert die Nummer nämlich an richtigen Dubstep, obwohl man irgendwie nicht ganz in dieses Genre eintauchen möchte, um gleichzeitig Innovationen zu liefern. Der Hörer soll eben etwas geboten bekommen, dass er nicht schon bei etlichen anderen Projekten zu hören bekam und das nicht einfach bei typischen Genres abgeschaut ist.

    So auch bei „My Door is open“, der eher mit einem aufgeblähten und warmem Bass daher kommt, fast schon ein wenig wie in einem Bigroom-Track. Aber keine Sorge: Kommerz oder gar EDM bekommt ihr hier keinen geboten. Stattdessen setzt man eher auf Tiefbass bei insgesamt wenigen Beats pro Minute, was dem Song eine gewisse Intensität verleiht, die man nicht leugnen kann. Erst im Laufe der Zeit steigert man sich dann zu einer etwas schnelleren Gangart mit kürzeren Takten und Basslines. Spannend.

    Der Abschlusssong „Traveling“ kann dann allerdings auch noch für einen würdiges Ende sorgen, denn hier gibt es echte Ohrwurmgefahr. Die Lyrics sind dabei so einprägsam, dass es mitunter passieren kann, dass sie uns nicht mehr aus dem Kopf gehen. Dabei handelt es sich zwar nicht um den schnellsten oder härtesten Song, aber sicherlich um jenen, der am ehesten chartstauglich wäre und den Mainstream vermutlich am besten ansprechen könnte. Dafür wird es dann allerdings ein wenig poppiger, was womöglich nicht unbedingt den Geschmack eines jeden echten EBM-Liebhabers treffen könnte. Trotzdem: Besser kann man ein Album wohl kaum abschließen.

    Fazit:
    Nachdem das grandiose bisher letzte Album der britischen Band „Nitzer Ebb“ nun auch auf einem qualitativ hochwertigen Doppel-Vinyl erscheinen ist, kann man für Fans wohl eindeutig eine Empfehlung aussprechen. Allerdings: Wer vom „Saw IV“-Soundtrack bereits begeistert war und womöglich einmal ein neues, für ihn unbekanntes Genre erkunden möchte, ohne dabei gleich mit ultraharten Nummern konfrontiert zu werden, dem sei „Industrial Complex“ ebenso ans Herz zu legen. Denn hier gibt es elektronische Musik jenseits des bekannten Mainstreams.

    PS: Für alle, die keinen Plattenspieler ihr eigen nennen, erscheint das Album nochmal als limitierte Doppel-CD mit zahlreichen Remixes am 29. April 2016.