Kritik:
Als in den frühen 80iger Jahren das erste Spiel der revolutionären Ego-Shooter-Reihe „Wolfenstein“ in die Läden kam, galt es als richtungsweisend für das Genre. Stets gegen die Indizierungen ankämpfend, blieb man bis heute seinem Stil treu und versetzte den Spieler in der Ich-Perspektive in den Kampf gegen das nationalsozialistische Regime. In einer etwas angepassten deutschen Version dürfen wir so zwar ohne Hakenkreuze, dafür aber nicht weniger spannend nun die Weltherrschaft Hitlers „bewundern“ und in einem fiktiven Szenario die Nazis bekämpfen. Sicher nichts für Kinder, aber Erwachsene werden daran besonders viel Spaß haben.
Was wäre wenn…
Das neueste Spiel aus der Reihe mit dem Titel „The New Order“ beschäftigt sich erstmals mit der Idee, was wohl passiert wäre, wenn Hitler tatsächlich den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte. Immerhin waren die Nationalsozialisten damals tatsächlich kurz davor, möglicherweise eine Atombombe bauen und abschießen zu können und hätten damit wohl den Verlauf der gesamten Welt verändert. Spannend anzusehen ist dabei, wie das Regime skrupellose jegliche mögliche Überwachungstechnologie für die eigenen Zwecke nutzt, alle Oppositionelle ohne zu Zögern auslöscht oder in Arbeitslager verfrachtet und den gesamten Globus mit seiner Ideologie beherrscht. Ein durchaus erschreckendes Szenario, das an manchen Stellen bewusst nicht unbedingt vor Realismus strotzt. Der Einsatz von haushohen Kampfrobotern dürfte in den 1960er Jahren wohl ziemlich unrealistisch erscheinen und auch sonst bedient man sich nur allzu freizügig bei diversen Verschwörungstheorien. Letztlich kommen sogar die Fans von trashigen Science-Fiction-Streifen auf ihre Kosten: Immerhin gibt’s auch einen Ausflug auf den Mond – was die Nazis dort wohl wollen könnten?
B-Film zum Zocken
Stilistisch erinnert „The New Order“ dabei an so manchen B-Actionfilm. Ein muskelbepackter Mann, zu allen Schandtaten bereit, darf im Alleingang selbst die übertriebenste und waghalsigste Actionnummer erledigen. Da werden mehrere Hubschrauber gestohlen, ein Atom-U-Boot entwendet, ein Arbeitslager infiltriert und noch vieles mehr, was in der Realität wohl kaum eine einzige Person alleine bewältigen könnte. Im Schnitt kommt man dabei durchaus auf fünf- bis sechshundert getötete Gegner, schaut man sich einmal hinterher die Statistiken des Spiels an – natürlich allesamt fast ohne jegliche Hilfe erledigt. Ob Kampfroboter, Elitesoldat oder andere völlig abgedrehte Gegnerkreaturen: Hier dürfen wir massenhaft Nazis abschlachten und bekommen die Wellen von Feinden nur so entgegen geworfen.
Tarantino für Gamer
Dabei spielt sich das eigentlich interessante eher zwischen der Action ab, wenn wir etwa im Hauptquartier der Widerstandsgruppe auf unsere Kameraden stoßen. Die Charakterzeichnungen sind dabei schon reichlich absurd und ein wenig schräg. Etwa Klaus Kreutz, ein ehemaliger Nationalsozialist, der immer noch recht brachiale Vorgehensweisen bevorzugt, aber wegen der Ermordung seiner Familie auf unsere Seite gewechselt ist. Der bringt dann auch gleich einen schwergewichtigen geistig behinderten Jungen namens Max Hass mit, der allzu viel Lärm ebenso wenig mag, wie die gepanzerten Soldaten, die er sich auch gern einmal eigenhändig genauer vornimmt. Noch verrückter wird es dann bei unserer Erzfeindin Frau Engel, die sich uns als taffe Nazi-Braut völlig abgedreht in den Weg stellt und in Tarantino-Manier selbst übelste Entstellungen überlebt. Ein bisschen Schmunzeln muss man da schon, woran man aber durchaus merkt, dass sich „Wolfenstein – The New Order“ eben nicht ganz so ernst nimmt.
Shooter ohne Freiheiten
Dabei lebt das Spiel vor allem von diesen vermeintlichen Nebensächlichkeiten, denn das Gameplay entspricht doch eher einem klassischen Shooter. Cutszene reiht sich an Dauergeballer reiht sich an Cutszene und so weiter. Brutale Action gibt’s da genügend, zumal die Feinde auch gern einmal in zahlreiche Einzelteile zerplatzen und die Wände beschmutzen. Lecker. Die dazugehörigen Schlauchlevels ohne echte alternative Wege sorgen letztendlich auch dafür, dass unser Weg und unsere Storyentwicklung klar vorgegeben sind. Häufige Scripts und Event-Handler gehören also dazu, sodass ein Knopfdruck oder das Betreten eines Raumes beispielsweise einen der wenigen Bossgegner auf den Plan rufen können. Dennoch gibt es Abwechslung: Mit zahlreichen verschiedenen Waffen und Fähigkeiten müssen wir doch stets geschickt vorgehen. Deckung ist dabei am wichtigsten, denn einfach wild drauf los ballern kann durchaus schnell zu unserem Tod führen. So bleibt der Shooter über seine gesamte Spielzeit von etwa sechzehn Stunden überaus spannend.
Pseudo-Stealth für Schleichfreunde
Eigentlich hätte man prinzipiell auch die Möglichkeit, auf andere Art und Weise vorzugehen, denn niemand ist gezwungen, hier gleich die Konfrontation zu suchen. Ein verdecktes Vorgehen, anschleichen an den Gegner und lautloses Töten von Hinten ist nämlich durchaus möglich. Elegante Spieler und Freunde von Stealth-Action werden sich also hüten, einfach zu schießen, sondern stattdessen lieber den nächsten Kommandanten erledigen, dessen Entfernung stets auf dem Bildschirm zu sehen ist. Verschwindet der nämlich erst einmal von der Bildfläche, so wird Verstärkung definitiv nicht mehr eintreffen. Leider macht das Leveldesign aber auch so manche Stealth-Aktion überflüssig, denn wenn ein Script erst einmal das Eintreffen von schweren Gegnern und anderen Ereignissen hervorruft, sind wir sowieso schneller im offenen Kampf als uns lieb ist. Trotz der Stealth-Fähigkeit richtet sich „Wolfenstein – The New Order“ also keineswegs an Freunde von „Splinter Cell“ & Co. Das sollte jedem bewusst sein, der den Kauf speziell deswegen in Betracht zieht.
Mitlernende Fähigkeiten
Interessant dürfte bei diesem Ego-Shooter allerdings auch der Skillbaum sein, dessen Fähigkeiten wir eben nicht, wie in vielen Rollenspielen üblich, anhand von Erfahrungspunkten erweitern. Stattdessen passt der sich perfekt an unsere Spielweise an und bereichert uns nur mit jenen Fähigkeiten, dir wir auch gezielt trainieren. Etwa das Ausschalten mit dem Messer von Hinten steigert unsere Fähigkeiten mit dem Messer. Sobald wir entsprechende Herausforderungen diesbezüglich gemeistert haben und tatsächlich beweisen, dass wir über die Fähigkeiten verfügen, erhalten wir weitere Möglichkeiten, um diese Eigenschaften gezielter zu nutzen. Sehr intelligent. Spieler haben so die Möglichkeit, sowohl gezielt anhand des Skillsystems zu agieren und ihre Spielweise auf die Freischaltung weiterer Fähigkeiten auszurichten, oder einfach ihrem Instinkt zu folgen und es dem Spiel zu überlassen, welche Fähigkeiten es wirklich für geeignet hält. Je nachdem, ob wir eher verdeckt oder frontal spielen, werden entsprechende Fähigkeiten damit automatisch erlangt. Fest steht jedenfalls: Um das Spiel zu meistern, ist es keineswegs nötig, überhaupt irgendeine der Skills zu erlangen. Man sollte sich daher nicht unbedingt gezielt daran ausrichten, hier mehr Möglichkeiten freizuschalten.
Charme für Actiongamer
Letztendlich ist es dann die Kombination aus allen Details, die „Wolfenstein – The New Order“ am Ende so spannend machen. Die Mischung aus tollen interessanten Charakteren, Tarantino-artigen Missionen, einem durchdachten Skillsystem, abwechslungsreichem Waffenarsenal, gekonntem Mapdesign und fesselnder Spannung hält den Spieler durchgehend bei Laune und schafft es gar, die Atmosphäre des Spiels noch weiter zu fesseln. Denn so eintönig manches Mal auch die Schießereien sein mögen, so wollen wir doch gern erfahren, wie es auf der Mondbasis wohl sein wird und können die nächsten Missionen kaum abwarten, wenn wir das Arbeitslager von innen gesehen haben oder gerade erst ein Atom-U-Boot entführt haben. Sowas cooles macht man schließlich selten und ist durchaus interessant. Dennoch bleibt auch dieses Spiel nicht ohne Kritik, denn ein bisschen mehr Freiheiten oder gar Nebenmissionen hätte man sich dann doch gewünscht. Schön wäre es gewesen, in einer halbwegs offenen Karte der Stadt einmal die Atmosphäre des Alltags der Bevölkerung unter Regime-Führung einzufangen, die Auswirkungen für die Menschheit genauer zu erkunden oder zwischen den Missionen einfach noch etwas umfangreichere Zeit mit den anderen Charakteren verbringen zu können. Sexszenen in einer Zwischensequenz mögen zwar toll sein – noch schöner wäre es aber wohl gewesen, wenn wir uns durch das Spiel, auswählbare Dialoge und Entscheidungen die eigenen Freundschaften hätten aufbauen und die Entwicklung der Beziehungen beeinflussen können. Manches Mal fällt es nämlich doch schwer, sich mit dem Actionhelden zu identifizieren.
Billingsley schickt seine Frau
Übrigens: So manche Fans von „Star Trek: Enterprise“ könnten sogar – ganz unbewusst – auch auf ihre Kosten kommen, wenn sie die englische Sprachausgabe bevorzugen. Die Anführerin der Widerstandsgruppe Caroline Becker wird nämlich von niemand geringeres gesprochen, als Bonita Friedericy. Das ist nämlich die Frau von John Billingsley, der vielen Fans an der Seite von Captain Archer als Dr. Phlox bekannt wurde. Auf zahlreichen Conventions – etwa der FedCon oder der Trekgate – bringt er stets seine Frau Bonita mit, um eine seiner gelungenen Comedynummern im Duo zu präsentieren. Als interessanter Fact für Sci-Fi-Fans mal nebenbei. Dennoch ist das nicht zwingend ein Grund, unbedingt auf die englische Fassung zu wechseln, kann sich die deutsche Sprachausgabe schließlich sehr gut sehen lassen. Auch wenn es bei der Soundabmischung manches Mal zu Problemen mit der korrekten Lautstärke kommt, so könnten die deutschen Synchronsprecher durchaus allesamt aus hochwertigen Hollywood-Produktionen stammen und verpassen ihren Figuren jeweils sehr kräftige und glaubwürdige Stimmen. Daran kann sich so manch anderes Spiel auch noch eine große Scheibe abschneiden.
Matsch für schwache Grafikkarten
Bei der Technik hinsichtlich der Grafikdarstellung wird man allerdings unterdessen auf eher geteilte Gemüter stoßen. Immerhin verwendet „Wolfenstein – The New Order“ die berühmte id Tech 5 und liefert damit zwar gewohnt gute Ergebnisse ab, aber zugleich auch die bereits seit Jahren bekannte Probleme. Hatte man einst Schwierigkeiten bei der Darstellung von „Rage“, so dürften bei gleicher Hardware auch hier dieselben Probleme auftreten. Dazu zählt unter anderem ein häufiges Aufploppen und Nachladen der Texturen, was mitunter in großflächigeren Gebieten etwas unschön aussehen kann. In geschlossenen Räumen hingegen – also etwa die meiste Zeit des Spiels – verringert sich diese Problematik allerdings sichtlich. Einen Vorteil hat das Ganze allerdings: Der Shooter ist auch heute noch auf älteren DirectX 10-Grafikkarten spielbar und dank OpenGL recht anpassungsfähig. Einen möglichst großen Grafikspeicher empfehlen wir auf Grund des Texturproblems allerdings dennoch, um das Aufploppen möglichst zu minimieren. Wer allerdings einen stärkeren Rechner zur Verfügung hat, wird sich an den überaus hübsch anzusehenden maximalen Einstellungen schnell erfreuen.
Fazit:
Mit gewollt wenig Ernsthaftigkeit, einem Tarantino-tauglichen Humor, tollen Charakteren und einem abwechslungsreichem Gameplay wird „Wolfenstein – The New Order“ den hohen Ansprüchen der Reihe vollkommen gerecht und kann jedem Shooter-Fan über eine ordentliche Singleplayer-Spielzeit hinweg viel Spaß bereiten.