White Bird |
Land/Jahr: USA 2023 |
Genre: Drama |
Regie: Marc Forster |
Darsteller: Ariella Glaser Orlando Schwerdt Olivia Ross Ishai Golan Gillian Anderson Helen Mirren |
FSK: ab 12 Jahren |
Dauer: 122 Minuten |
Kinostart: 11. April 2024 |
Label: Leonine |
Die anerkannte Künstlerin Sara erlebte im Alter von 15 Jahren die wohl schwierigste Phase ihres Lebens. Damals verbrachte sie ihre Schulzeit gemeinsam mit ihren Eltern in einer Stadt im Elsass. Obwohl diese außerhalb der offiziellen Besatzungszone in Frankreich lag, wurde die Bedrohung durch den Nationalsozialismus im Jahre 1942 immer stärker spürbar. Vor allem, da ihre Familie aus Juden bestand. Nachdem ihre Mutter zunächst nicht glauben wollte, dass die Judenverfolgung auch an ihrem Wohnort zu einem Problem werden könnte, trafen die ersten Deutschen dennoch im Herbst 1942 in der Stadt ein. In der Schule von Sara trieben sie alle Juden zusammen, um sie anschließend in Lager zu deportieren. Nur Sara selbst gelang die Flucht und wurde jahrelang von ihrem Mitschüler Julien in der Scheune seiner Eltern versteckt. Dabei entwickelte sich nicht nur eine besondere Freundschaft zwischen ihr und dem gehbehinderten Jungen, sondern es begann auch eine nachhaltige Lebenserfahrung, die sie bis ins Rentenalter prägen würde…
Kritik:
Bei einem Film über den Nationalsozialismus mag so mancher deutsche Zuschauer inzwischen wohl die Augen verdrehen, auf Grund der Häufigkeit, mit der dieses Thema in deutschen Filmen behandelt wird. Stammt ein Film mit einer derartigen Geschichte jedoch aus Amerika, ist das Interesse gleich etwas größer. Wird sie dann auch noch von Akte X-Star Gillian Anderson und Helen Mirren besetzt, sorgt das schnell für eine gewisse Aufmerksamkeit.
Im Versteck einer Jüdin
Und tatsächlich stellen wir fest: Die Perspektive eines amerikanischen Films über den zweiten Weltkrieg und die Judenverfolgung ist ein wenig anders als in deutschen Produktionen. Hitler und die Konzentrationslager rücken ein wenig mehr in den Hintergrund und „White Bird“ verzichtet – bis auf ein paar wenige Reden – auch darauf, den erhobenen Zeigefinger zu erheben. Stattdessen versucht man, typische Hollywood-Dramaturgie auf eine Geschichte über die Judenverfolgung anzuwenden und hat damit durchaus Erfolg. Die Story rund um die junge Jüdin Sara ist nämlich weitaus persönlicher und näher an den Charakteren, als bei den oberlehrerhaften deutschen Dramen. „White Bird“ konzentriert sich auf die persönliche Situation des jungen Mädchens und ihr Leben im Versteck bei einer französischen Familie. Die starken Figuren funktionieren dabei hervorragend und sorgen dafür, dass der ein oder andere Zuschauer vielleicht ein paar Taschentüchter bereit halten sollte.
Jugenddrama mit Nazis
Die Nähe zur Hauptfigur macht nämlich auch die dramatische Situation der Juden in der damaligen Zeit deutlich. Nazis, die sogar bis in die Klassenzimmer vordrangen, um minderjährige Juden zu deportieren, gehen unter die Haut. Ebenso der Hass und die (mitunter sogar dezente) Ausgrenzung durch Menschen im Alltag, lassen das Publikum hier und da schlucken. Die Verweigerung der Bedienung im nächsten Laden, ein bisschen Mobbing in der Schule auf Grund der Religionszugehörigkeit oder verächtliche Kommentare auf der Straße. „White Bird“ verzichtet dabei auf den Holzhammer und baut unangenehme Momente sehr dezent ein, was ihre Wirkung aber verstärkt. Seine besondere Stärke entfaltet das Drama insbesondere, wenn sich die Situation weiter zuspitzt. Die heftigste Szene wohl zweifelsohne, als selbst ein Klassenkamerad zur Bedrohung für das Leben der Jüdin wird. Und selbst so vermeintlich nahestehende Personen die Betroffenen mit einem unfassbaren Hass konfrontrieren. Die Dramatik der Figuren weiß „White Bird“ zu jedem Zeitpunkt zu nutzen.
Nah am einfachen Volk
Das Drama von Regisseur Marc Forster macht dabei genau das spür- und erlebbar, was wir aus Erzählungen unserer Großeltern oftmals kennen: Wie es war, vor den Nazis im Keller, Dachboden, Scheune oder ähnlichem versteckt zu werden. Wie es sich angefühlt haben muss, am Fenster zu lauern und die Straße zu beobachten, um mögliche Nazis rechtzeitig ausfindig zu machen oder allzu neugierige Nachbarn zu entdecken, die das Geschehen an die Besatzer verraten könnten. Er beweist ein Gespür dafür, die Unfreiheit während des Nazi-Regimes emotional herausragend in Szene zu setzen, die dabei entstand, als an jeder Ecke Straßenkontrollen stattfanden und Deportationen selbst aus purer Willkür möglich waren. Eine Perspektive, die gänzlich darauf verzichtet, Hitler auch nur ein einziges Mal zu zeigen oder auch nur einen einzigen Blick in ein KZ zu werfen. Eine Geschichte aus dem Leben, die genau wegen der Nähe zum „einfachen Volk“ so sehr unter die Haut geht, denn jeder der Zuschauer hätte in der damaligen Zeit betroffen sein können.
Fazit:
Das Drama über den Nationalsozialismus gelingt es mit einer enormen Nähe zu den Figuren emotional hervorragend einzufangen, wie es einst gewesen sein muss, selbst einen Juden in seinem eigenen Haus zu verstecken. Damit kommt „White Bird“ zwar noch nicht an die Genialität eines „The Zone of Interest“ heran, weiß aber dramaturgisch zu überzeugen. Die eigentlichen Stars des Films sind dabei aber nicht Gillian Anderson und Helen Mirren, sondern viel mehr die relativ unbekannten Jungdarsteller Ariella Glaser und Orlando Schwerdt, die für einen grandiosen jugendlichen Blick auf die Jugendverfolgung blicken.