Vortex |
Land/Jahr: F / B 2021 |
Genre: Drama |
Regie: Gaspar Noé |
Darsteller: Françoise Lebrun Dario Argento Alex Lutz |
FSK: ab 12 Jahren |
Dauer: 135 Minuten |
Kinostart: 28. April 2022 |
Label: Rapid Eye Movies |
Ein altes Ehepaar, beide um die achtzig Jahre alt, hat schon viele Zeiten miteinander erlebt. Lange sind sie durch dick und dünn gegangen, haben sich unterstützt, wo sie nur konnten. So auch in diesen schwierigen Zeiten, als die Demenzkrankheit der Frau die gemeinsame Ehe trübt. Die ehemalige Psychiaterin baut geistig immer weiter ab, erkennt in wenig klaren Momenten weder ihren Mann, noch das gemeinsame Wohnzimmer. Ihr Ehemann, der sich eigentlich liebendgern um sie kümmern möchte und sich aus Sehnsucht nach der alten Liebe in seine Arbeit als Filmjournalist hineinsteigert, ist seit seinem Herzleiden jedoch selbst kaum noch in der Lage, seine Ehefreu zu betreuen. Gemeinsam steuern sie auf den geistigen und körperlichen Verfall zu – an dessen Ende nur noch der Tod wartet…
Kritik:
Gaspar Noé ist bisher eigentlich vor allem als Skandalregisseur bekannt geworden. Seine bisherigen Filme handelten von Sex, Gewalt, Vergewaltigungen und waren für gewöhnlich nichts für Zuschauer mit schwachen Nerven. Sein Werk „Irreversibel“ aus dem Jahre 2002 war zuweilen so heftig, dass ein Teil des Publikums Schwierigkeiten hat, den Film überhaupt zu Ende anzusehen. Mit „Vortex“ schlägt er nun einen gänzlich neuen Weg ein.
Ein Skandalregisseur wird zahm
Kenner werden beim Anblick von „Vortex“ vermutlich behaupten, es handele sich bei dem Drama um Gaspar Noés bisher harmlosesten Film. Das klingt zunächst einmal ein bisschen seltsam, wenn wir ein emotional heftiges Drama über Demenz zu sehen bekommen. Hinsichtlich Gewalt- und Sexszenen ist der neueste Film von Noé aber tatsächlich vergleichsweise zurückhaltend und harmlos – derartiges gibt es hier nämlich überhaupt nicht zu sehen. Der Tod jedoch spielt auch ohne Gewalt eine wichtige Rolle. In einer Laufzeit von 135 Minuten begleiten wir ein altes Ehepaar beim körperlichen und geistigen Verfall. Sie baut geistig ab, er körperlich – und gemeinsam scheinen sie nur den Tod noch als letztes gemeinsames Ziel einer jahrzehntelangen Ehe zu haben. Das mag oberflächlich harmloser erscheinen, als der Vergewaltigungsthriller „Irreversibel“, geht aber dennoch stark unter die Haut. Emotional kann „Vortex“ vor allem jene Zuschauer triggern, die gerade selbst Betroffene mit Demenz oder Herzkrankheiten in ihrem privaten Umfeld haben. Und Gaspar Noé gelingt es damit, das Publikum zu Tränen zu rühren.
Splitscreen mit künstlerischem Mehrwert
Stilistisch ist „Vortex“ unterdessen ein wenig gewöhnungsbedürftig, wobei das ja auch bei Gaspar Noé nun keine Besonderheit ist. Wurde „Irreversibel“ einst chronologisch rückwärts erzählt und setzte er bei „Love“ als Skandalregisseur auf echte Sexszenen, so bekommen wir in „Vortex“ einen Splitscreen zu sehen. Das Bild ist also über die gesamte Laufzeit in zwei Hälften unterteilt: Die eine Kamera verfolgt die Frau mit Demenz, die andere Kamera den Mann mit den Herzkrankheiten. Obwohl sich beide Szenen manchmal sogar gleichzeitig im gleichen Raum abspielen, was durchaus für faszinierende Kameraarbeit spricht, wenn wir die gleichen Szenen aus unterschiedlicher Perspektive sehen, hat das erzählerisch durchaus Sinn: „Vortex“ verdeutlich damit, wie ein altes Ehepaar, das seit Jahrzehnten zusammenlebt, eigentlich nur noch aneinander vorbei lebt. Und es verstärkt den Eindruck der Verwirrtheit und der Hilflosigkeit der Demenzkranken, wenn die Kamera ihr bei wirren Ausflügen aus dem Haus folgt, während wir gleichzeitig die verzweifelte Suche ihres fürsorglichen Mannes in der anderen Hälfte des Bildes verfolgen. An dieses Stilmittel muss man sich gewöhnen, dann aber erhält „Vortex“ dadurch einen künstlerischen Mehrwert.
Die Beobachtung des Verfalls
Man muss sich vor der Sichtung allerdings auch darüber im Klaren sein, dass „Vortex“ eindeutig eher der Filmkunst zuzuordnen ist. Ein Mainstream-Streifen möchte das Drama von Gaspar Noé in keinem Moment sein, weshalb die Kinovorführungen primär wohl auch in Filmkunstkinos zu finden sind und dort durchaus auch hingehören. Actionszenen gibt es hier nämlich nicht zu sehen, selbst das Drama mit seinen vielen Dialogen geht eher gemächlich voran. Durch die Anpassung an das verlangsamte Tempo älterer Menschen, hat Noé seinen Film überaus natürlich inszeniert, entwickelt zugleich aber auch einige Längen. Mit gebrechlichen alten Menschen müssen die Beobachter eben auch mal etwas Geduld aufbringen. Das erwartet „Vortex“ aber auch vom Zuschauer, wenn er in den Dialogen die Geduld braucht, um auf die Erklärungen einer wenig wortgewandten Demenzkranken zu warten. Nicht der geringste Zweifel besteht währenddessen aber auch daran, wie hervorragend Françoise Lebrun und Dario Argento, der sonst selbst als Kultregisseur bekannt ist, die Rolle des alten Ehepaars spielen. Die Figuren, die wir in „Vortex“ sehen, könnten auch unsere eigenen Großeltern oder das gebrechliche Ehepaar von nebenan sein. Bemerkenswert.
Fazit:
Objektiv betrachtet mag „Vortex“ der harmloseste Film von Gaspar Noé sein, emotional kann das Drama über Alter, Tod und Demenz aber dennoch äußerst stark triggern. Bei der äußerst natürlichen Darstellung älterer Menschen braucht das Publikum zwar etwas Geduld, bekommt zugleich aber auch großartige Leistungen der beiden Hauptdarsteller geboten. Ein Drama, das unter die Haut geht.