Bis wir tot sind oder frei |
Land/Jahr: CH / D 2020 |
Genre: Drama |
Regie: Oliver Rihs |
Darsteller: Joel Basman Marie Leuenberger Jella Haase Anatole Taubman |
FSK: ab 16 Jahren |
Dauer: 117 Minuten |
Kinostart: 31. März 2022 |
Label: Port au Prince |
In den 1980er Jahren kämpft die idealistische Anwältin Barbara Hug gegen das Schweizer Justizsystem und vertritt linksradikale Aktivisten, die aus politischen Gründen die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen und mit unverhältnismäßigen Urteilen zu kämpfen haben. Neben der jungen Punkerin Heike gehört bald auch der Kriminelle Walter Stürm zu ihren Mandanten. Seit einigen Jahren ist der junge Mann bereits als „Ausbrecherkönig“ bekannt, da es ihm gelingt, aus jedem noch so gut gesicherten Gefängnis auszubrechen. Gerade die Isolationshaft ist der Anwältin ein Dorn im Auge, scheint sie angesichts der vergleichsweise geringen Vergehen ihres Mandanten übertrieben. Doch während Barbara die Gerichtssäle vor allem für Plädoyers mit politischen Statements missbraucht, wird Stürm kurzerhand zu einem Symbol für Freiheit und Menschenwürde innerhalb der linksautonomen Szene…
Kritik:
Ein bisschen politisch aufgeladen, das sind deutsche (und schweizerische) Produktionen ja recht häufig. Im Falle von „Bis wir tot sind oder frei“ sogar mit realpolitischem Hintergrund: Das deutsch-schweizerische Drama erzählt uns von Walter Stürm, dem Ausbrecherkönig der Schweiz, der zu einem Symbol für die linksautonome Szene wurde.
Loblied für die linke Szene
Recht schnell kommt der Streifen dabei zur Sache. Schon in der ersten Szene stehen wir mitten in einer Straßenschlacht, linksradikale Aktivisten prügeln sich mit der Schweizerischen Polizei. „Bis wir tot sind oder frei“ macht schon von Beginn an keinen Hehl daraus: Der Film steht tendenziell auf der Seite der linken Aktivisten. Links – das steht in diesem Film für Freiheit, Individualismus, Anarchismus und zu einem gewissen Teil auch Idealismus. Im Prinzip ist das durchaus ok so, denn das Drama erzählt zugleich auch die Perspektive der linksautonomen schweizerischen Szene inmitten der Kampagnenbüros, Demonstrationen und Rechtsstreits mit dem nationalen Justizsystem. Mittendrin: Die Anwältin Barbara Hug, ebenfalls auf einer realen Person basierend, die selbst mehr idealistische Aktivistin ist, als eine Vertreterin des Rechts. Und daraus auch vor Gericht kein großes Geheimnis macht, wenn sie ihre Plädoyers für Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit hält.
Einzelschicksal statt Politik
Generell ist „Bis wir tot sind oder frei“ auch weniger ein Film über die große Politik, sondern eher ein Drama über einige wenige Einzelschicksale. Im Mittelpunkt stehen die zerbrechliche, mit einer kaputten Niere ausgestattete Barbara Hug und ihr Mandant Walter Stürm, der sein Leben zwischen Isolationshaft und Flucht verbringt. Das Zwischenmenschliche steht im Vordergrund, auch im Angesicht einer einst freiheitsliebenden linken Szene, die einen anti-autoritären Idealismus ebenso vertritt, wie eine Vorliebe zur freien Liebe – die durchaus zum Konflikt zwischen Hug und ihrer deutlich jüngeren Mitaktivistin Heike führen wird. „Bis wir tot sind oder frei“ bleibt emotional und spannend, weil wir einen starken Einblick in die Sorgen, Ängste, Wünsche und auch Träume der idealistischen linken Bewegung erhalten. Und doch leidet der Streifen zugleich unter einem großen Problem: Wie ausgerechnet Walter Stürm, der nur indirekt mit der linken Szene in Verbindung steht, zu einem linken Symbol der Freiheit wurde, können wir bei der Sichtung dieses Films zunächst nur erraten.
Keine Zeit für Erklärungen
Tatsächlich ist „Bis wir tot sind oder frei“ einer jener Filme, die sich nur dadurch vollständig erschließen, dass wir über die Hintergründe der realen Personen recherchieren. Selbsterklärend ist das Drama nur selten und für Erklärungen hat der Streifen auch relativ wenig übrig. Gerade für deutsche Zuschauer kann das zum Problem werden: Immerhin setzt der Film von Regisseur Oliver Rihs insgesamt zu viel politisches Hintergrundwissen über die Schweizer Geschichte und das damalige dortige Rechtssystem der 80iger Jahre voraus. Mit der linken Szene der Schweiz sollte man am besten auch vertraut sein, schaden kann es jedenfalls nicht. Und da liegt zugleich das größte Problem beim Spannungsbogen: Ohne Hintergrundwissen kann „Bis wir tot sind oder frei“ manchmal schwer vollständig zu erfassen sein. Welche Motive die dargestellte linke Szene hat, wenn sie zu Walter Stürm aufsieht, erschließt sich vom bloßen Anschauen des Films nicht. Ebenso wenig wird klar, wofür oder wogegen die linken Aktivisten damals in den 80igern hier eigentlich genau protestierten. Der Fokus auf die Einzelschicksale der Barbara Hug und ihres Mandanten Walter Stürm liegt dermaßen im Mittelpunkt, dass der Film die Darstellung der politischen Rahmenhandlung zeitweise gar völlig vergisst. Dabei wäre vielleicht genau das der interessanteste Aspekt des Films gewesen.
Fazit:
Mit seinem spannenden Nebenschauplatz der schweizerischen linksautonomen Szene der 1980er Jahre fokussiert sich „Bis wir tot sind oder frei“ vor allem auf die emotionalen Einzelschicksale des „Ausbrecherkönigs“ Walter Stürm und seiner Anwältin. Das bringt eine hohe Dramaturgie und großartige schauspielerische Leistungen mit sich, vernachlässigt allerdings die vermeintlich interessante politische Story, die sich für Zuschauer ohne Hintergrundkenntnisse oftmals nicht direkt erschließt.