The Night Clerk |
Land/Jahr: USA 2020 |
Genre: Drama |
Regie: Michael Cristofer |
Darsteller: Tye Sheridan Ana de Armas Helen Hunt John Leguizamo |
FSK: ab 12 Jahren |
Dauer: 90 Minuten |
Kaufstart: 19. November 2020 |
Label: EuroVideo |
Bart Bromley hatte als Asperger Autist schon immer Schwierigkeiten mit der zwischenmenschlichen Interaktion. Trotzdem arbeitet der hochintelligente junge Mann als Nachtportier für eine erfolgreiche Hotelkette. Die heimlich installierten Kameras in den Zimmern geben ihm währenddessen die Möglichkeit, fremde Menschen zu studieren und ihr Verhalten nachzuahmen, um seine sozialen Fähigkeiten zu trainieren. Als Bart dann eines nachts allerdings einen Mord per Kamera beobachtet, gerät er in eine Zwickmühle: Kann er dem Mordverdacht entgehen, ohne sein eigenes voyeuristisches Geheimnis preisgeben zu müssen?
Kritik:
Geistige und körperliche Behinderungen in einer Hauptrolle sind – trotz aller Vielfalt, die wir in Hollywood heute zu sehen bekommen – noch immer eine Seltenheit. Nachdem wir in „The Peanut Butter Falcon“ zuletzt einen Menschen mit Down Syndrom zu sehen bekamen, gehört „The Night Clerk“ zu den wenigen Streifen, die Autismus auf eine intensivere Weise thematisieren. Und obendrein eine Krimigeschichte daraus machen.
In der Rolle des Autisten
Eine besondere Herausforderung dürfte für Schauspieler allerdings bestehen, wenn sie nicht selbst von der Behinderung betroffen sind, sondern diese tatsächlich spielen müssen. Anders als etwa Zack Gottsagen, der bei seiner Hauptrolle in „The Peanut Butter Falcon“ tatsächlich vom Down-Syndrom betroffen war, ist Hauptdarsteller Tye Sheridan in „The Night Clerk“ eigentlich ein „normaler“ Schauspieler, der sich für seine Rolle in die Verhaltensweisen eines Asperger Autisten hineinversetzen muss. Mit gerade einmal neun Jahren Schauspielerfahrung meistert er diese Rolle jedoch mit Bravour und mimt den Autisten dermaßen glaubwürdig, dass wir ihm jedes noch so eigenartige Verhalten abkaufen. Vom Festhalten an bestimmten Verhaltensroutinen über die Schwierigkeit, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen, bis hin zur Überforderung mit unerwarteten sozialen Interaktionen gelingt es Sheridan exakt so zu reagieren und zu schauspielern, wie man dies von einem Autisten tatsächlich erwarten würde. Mit dieser außergewöhnlichen Charakterdarstellung liefert er zugleich wohl die beste Rolle seiner Karriere ab.
Das Innenleben eines Voyeurs
Regisseur Michael Cristofer gibt ihm dabei aber auch den perfekten Handlungsrahmen zur Hand, der es auch dem Publikum ermöglicht, sich hervorragend in die introvertierte Perspektive eines Autisten hineinzuversetzen. Hier entfaltet nämlich der voyeuristische Charakter des Films seine wahren Stärken. Als stiller Beobachter, der seine Umgebung und seine Mitmenschen studiert und sich mit sozialer Interaktion sehr schwer tut, sitzt Sheridan als Bart vorzugsweise heimlich hinter seinen Bildschirmen, auf denen er mittels versteckter Kamera fremde Hotelgäste beobachtet. Dem Zuschauer gibt es zugleich die perfekte Bindung an die Hauptfigur, da es ihm ermöglicht, sich selbst emotional in die Rolle eines Außenseiters zu begeben, der die Welt überwiegend ohne aktive Teilnahme wahrnimmt. Das perfekte Mittel also, um die Gefühlslage an jene zu vermitteln, die sich nur schwer in die Gedankenwelt eines Autisten hineinversetzen können – und damit ein wahrlich geniales Inszenierungselement.
Zweitbesetzung als Schlüsselfigur
Damit wird allerdings auch klar, dass „The Night Clerk“ vor allem den eindeutigen Weg als Drama geht. Obwohl die Geschichte um einen Mordfall den Storyrahmen gibt und der Streifen damit viele Krimiansätze erhält, steht die charakterliche Darstellung und Entwicklung des Autisten klar im Vordergrund. Voller Intensität gelingt dabei auch das Zusammenspiel zwischen Tye Sheridan und Ana de Armas, die den Autisten immer wieder aus seiner Komfortzone lockt und in emotional aufgeladenen Situationen die eigentliche Entwicklung der Hauptfigur anstößt. Sie wird trotz des Fokus auf Bart schnell zur Schlüsselfigur in „The Night Clerk“ und bringt die Dramaturgie damit zu seinem Höhepunkt.
Psychodrama statt Krimi
Krimi- oder gar Thrillerfans könnten allerdings durchaus enttäuscht darüber sein, dass das Rätselraten um den Mordfall und das Entkommen aus dem Mordverdacht schnell zu einem eher nebensächlichen Schauplatz wird. John Leguizamo lockt den Autisten als Ermittler zwar regelmäßig aus der Reserve, doch auch an dieser Stelle bleibt „The Night Clerk“ seinem Drama treu und lässt sich nicht über die Krimischiene auf Abwegen bringen. Die Lösung des „Krimis“ ist schließlich von Beginn an klar, stattdessen zieht uns Sheridan mit seiner Darstellung in den Bann, da es schlicht fasziniert, wie der Asperger Autist mit der Situation umgeht und mit eingeschränkten Interaktionsfähigkeiten eine Lösung aus der Misere sucht. Ein in jedem Fall innovatives Psychodrama mit einer Rolle, die so definitiv nicht alltäglich ist.
Fazit:
Tye Sheridan brilliert in der Rolle als äußerst glaubwürdiger Asperger Autist, der unter Mordverdacht stehend seine eigenen Vergehen verschleiern will. Während der Krimi dabei zum Nebenschauplatz wird, überzeugt „The Night Clerk“ vor allem als intensives Psychodrama.
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