Sohn der weißen Stute |
Land/Jahr: Ungarn 1981 |
Genre: Zeichentrick |
Regie: Marcell Jankovics |
Darsteller: - |
FSK: ab 12 Jahren |
Dauer: 81 Minuten |
Kaufstart: 7. Mai 2021 |
Label: Bildstörung |
Es war einmal vor langer Zeit, da gebar eine weiße Stute im hohlen Inneren einer Zerreiche ihren dritten Sohn. Bereits zuvor wurde ihr offenbart, dass die Geburt ihres dritten Kindes das Ende ihres Lebens einläuten sollte. Und so begann es, dass der scheinbar göttliche Drittgeborene so sehr an Kraft gewann, dass er selbst den riesigen Baum mitsamt seiner Wurzeln aus dem Boden herausreißen konnte und dabei seiner Mutter jegliche Lebenskraft beraubte. Mit all seiner Kraft zog er fortan mit seinen beiden Brüdern aus um die Welt zu retten. In die Unterwelt sollten sie vordringen, um dort die Fruchtbarkeit von den Drachen und Dämonen zu befreien und die Ordnung im Universum wieder herzustellen…
Kritik:
Wenn der Mainstream-Zuschauer an Zeichentrick denkt, so fallen ihm zumeist die niedlichen Disney-Klassiker ein, die sich mit ihrem zumeist gleichen Animationsstil vor allem an das jüngere Publikum richten. Doch Zeichentrick kann tatsächlich auch echte Kunst sein: So etwa der ungarische Klassiker „Sohn der weißen Stute“, der mit selten gesehenen abstrakten Bildern fasziniert.
Die Verschmelzung der Existenz
Die ersten zehn Minuten von „Sohn der weißen Stute“ gleichen dabei einem überwältigenden künstlerischen Overkill, der mit seinen abstrakten Farben und Formen auch für den erfahrenen Film- und Kunstliebhaber nur schwer zu erfassen ist. Die mit religiösen Parallelen und Anspielungen vollgepackte Darstellung wirkt dabei dermaßen künstlich, dass es schwer ist, hier überhaupt auf den ersten Blick die Grenzen einer Filmwelt auszumachen. Der ungarische Regisseur Marcell Jankovics arbeitet mit psychedelischen, manchmal gar hypnotischen Bildern. Wenn sich die grellen Farben und ineinander verschmolzenen Formen zu drehen beginnen und das Erscheinungsbild von „Sohn einer weiße Stute“ zu einem fluiden Gebilde zusammenwachsen lassen, erinnert der Zeichentrickfilm eher an einen animierten Rorschach-Test, als an einen typischen Kinderfilm. Die Verschmelzung jeglichen Seins des Films, sowohl inhaltlich, als auch optisch, erscheint bei genauerem Hinsehen jedoch hochdurchdacht und ergibt einen beinahe intellektuellen Sinn.
Das Märchen von der Schöpfungsgeschichte
Man könnte „Sohn der weiße Stute“ mit all seiner christlichen Symbolik auch als stark abgewandelte Schöpfungsgeschichte betrachten. Die Erzählung von der unbefleckten Empfängnis, auf die Welt gebracht von einer gar strahlenden weißen Stute und wohlbehütet aufgezogen im Garten Eden inmitten des Symbols der Fruchtbarkeit. Die Verschmelzung von Himmel und Hölle, von Erde und Universum, die sich auch in den verschmelzenden psychedelischen Bildern wiederspiegelt und von der Dreifaltigkeit, den drei göttlichen Brüdern mit ihrem leuchtenden Heiligenschein aufgelöst werden muss, um die Ordnung der Existenz wieder herzustellen, kann man in seiner dargestellten Perfektion sicherlich als Geniestreich bezeichnen. Keine Frage: Das Publikum muss sich auf diesen Streifen fernab jeglicher heutiger und früherer Sehgewohnheiten einlassen können und die Geduld haben, die Vielfalt der abstrakten Darstellung wahrzunehmen, um „Sohn der weißen Stute“ etwas abzugewinnen. Der Film nämlich ist kein Disney-Kinderfilm, sondern wahre bewegte Filmkunst – und das kann manchmal auch anstrengend sein.
Großer Raum für Interpretationen
In manchen Szenen wird selbst der Kunstliebhaber womöglich feststellen, dass die hier dargestellten Bilder ein wenig „zu viel“ sind, um die Szenerie und das Geschehene völlig erfassen zu können. Für „Sohn der weiße Stute“ ergibt sich dadurch aber ein völlig neuer Reiz: Um wirklich jede Anspielung, jede Symbolik und jede Interpretationsmöglichkeit erfassen zu können, wird man den Zeichentrickfilm vermutlich gar mehrmals ansehen müssen, was dem Streifen einen hohen Wiedersehwert verleiht. Generell kann man in den Film von Marcell Jankovics ohnehin recht viel hineininterpretieren, denn trotz seiner kaum zu übersehenen Anspielungen an die christliche Schöpfungsgeschichte mag sich der Streifen dann doch nicht völlig an die kirchliche Darstellung dieses Ablaufes halten. „Sohn der weißen Stute“ ist dann doch mehr frei erfundenes Märchen, als ein religiöses Werk, das man durchaus verschieden auffassen könnte. Und damit zugleich auch eher ein Film für „alt“ statt jung, könnten vor allem die Bilder doch vor allem die jüngeren Zuschauer schnell überfordern.
Fazit:
Der ungarische Zeichentrick-Klassiker ist viel mehr ein bewegtes Kunstwerk als ein Kinderfilm. Mit seinen psychedelischen, abstrakten Farben und Formen weiß der optische Overkill das Publikum zu faszinieren und die darin enthaltene christliche Symbolik lässt jegliche Art der Existenz auf durchdachte Weise verschmelzen. Ein Meisterwerk der anderen Art.
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