Einst war die jüdische Publizistin Hannah Arendt selbst gezwungen, vor dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland zu fliehen und mittels Visum kurz vor der Deportation in ein Internierungslager in die Vereinigten Staaten von Amerika auszureisen. Dort war sie gemeinsam mit ihrem Mann ganze achtzehn Jahre lang staatenlos und begann ihre Karriere als Theoretikerin. Heute gehören diese finsteren Zeiten längst der Vergangenheit an und die Juden können in Europa wieder absolut friedlich leben. Dennoch gibt es auch heute noch vereinzelte, längst in die Jahre gekommene Täter, die sich vor einem Gericht für ihre Taten während des zweiten Weltkrieges verantworten müssen. Als Adolf Eichmann in Jerusalem für seine Verbrechen angeklagt wird, lässt es sich Hannah nicht nehmen, dem Prozess beizuwohnen und für „The New Yorker“ einen ausführlichen Artikel zu schreiben – doch ihre Erwartungen werden gänzlich enttäuscht. Sie steht keineswegs vor einem Monster, das zu allem fähig wäre, sondern stattdessen vor einem einfachen, belanglosen Mann, der womöglich gar nicht für seine eigenen Taten zur Verantwortung gezogen werden kann. Hannah versucht die Beweggründe zu verstehen, stellt ein ganzes System in Frage und wagt sich auf ein kontroverses Terrain, auf dem sie sich zahlreiche Feinde macht…
Kritik:
Die berühmte Hannah Arendt gilt als einer der wichtigsten und kontroversesten Publizistinnen der 60er Jahre. Durch ihre kritische Sichtweise auf die Taten eines SS-Mannes und ihrer grundsätzlichen Systemkritik, auch gegenüber den Judenräten, wagte sie sich einst auf ein schwieriges Terrain und machte sich viele Feinde. Ihr Buch „Eichmann in Jerusalem“ ist eigentlich viel zu wenigen bekannt und dennoch womöglich eine der wichtigsten Schriften unserer Zeit. Der nach ihr benannte Film ist zugleich eine Biografie – und beschäftigt sich eben mit ihren kontroversen Ansichten.
Der Zwang eines Systems
Der Film über die ehemalige Zionistin beginnt eigentlich erst recht spät, im bereits fortgeschrittenen Alter von Hannah Arendt. Bereits über fünfzig Jahre und mit deutlichen Falten dürfte sie sein, während sie erstmalig vom Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem erfährt. Die Vorgeschichte von Frau Arendt wird gänzlich ausgelassen, sodass wir uns gänzlich auf den Prozess, ihre Sichtweisen und Publikationen konzentrieren können. Diese haben es jedoch in sich, dürften sie schließlich auch heute noch diverse Diskussionen auslösen. Etwa nach der Frage, ob ein ehemaliger Soldat oder Mitarbeiter der SS tatsächlich für seine Taten verantwortlich gemacht werden darf – hat er doch schließlich lediglich nach dem damaligen Gesetz gehandelt und stand selbst unter dem Druck des mächtigen Regimes. Doch auch die Frage danach, zu welchen eigenständigen Entscheidungen ein womöglich denkunfähiger Mann damals in der Lage war und ob sich die Juden selbst einer gewissen Kritik stellen müssen. Damit hat sie sich damals schließlich weit aus dem Fenster gewagt und eine politische Debatte begonnen, womit „Hannah Arendt“ zwar dialoglastig, aber überaus spannend geraten ist.
Sie haben ein Monster erwartet…
Es ist die erschreckend natürliche Darstellung des Adolf Eichmann, die hier perfekt ins Bild zu passen scheint. Immerhin hat Arendt einst in ihrem Buch selbst noch betont, dass selbst ein Nazi-Verbrecher eben doch nur ein Mensch ist. Ein Status, den ihm heute wohl zahlreiche Menschen aberkennen wollen, der zugleich aber auch den Juden einst aberkannt wurde. Wir sehen einen Beteiligten am Holocaust, der eigens dafür verantwortlich war, dass Millionen von Juden in Internierungslager transportiert wurden und auf qualvolle Weise ums Leben kamen. Doch der Mann ist so überaus menschlich, normal und verletzbar. Er ist nicht das Monster, das jeder erwarten würde, sondern ein fühlender, erreichbarer Mann, der doch immer wieder beteuert, nur Befehle befolgt zu haben und nur nach dem damaligen Gesetz gehandelt zu haben. Es ist ein mutiger Schritt, einen Verbrecher dieser Art nicht als Monster zu betrachten, sondern ihm lediglich die Fähigkeit zu denken, abzuerkennen. Eine leere Hülle oder doch ein bewusst entscheidender Mörder? Für Diskussionen dürfte auch der Film damit sorgen – und hat damit einen überaus hohen geschichtlichen Wert vor allem für jene, die Hannah Arendt bisher nicht kannten.
Auf zur Zielgeraden
Bewusst hat sich Regisseurin Margarethe von Trotta dazu entschieden, die gesamte Vorgeschichte von Hannah Arendt auszulassen. Man möchte sich eben ganz speziell mit ihren kontroversen Fragen beschäftigen und keinen üblichen Kriegsfilm über den zweiten Weltkrieg drehen. Wir sehen daher nicht eine einzige Szene, in denen Nationalsozialisten ihre Gräueltaten begehen oder gar Juden in ein Lager abtransportiert werden. Die gesamte Geschichte handelt in den 60er Jahren und den späten Diskussionen über das Nazi-Regime. Das hat natürlich rein aus geschichtlichem Interesse einen gewissen Nachteil, wird schließlich das gesamte Engagement der Hannah Arendt nur sehr knapp und oberflächlich erwähnt. Damit dürfte sie nicht gerade als Zionistin und Frauenrechtlerin in Erinnerung bleiben, ja nicht einmal als politische Aktivistin – lediglich als Publizistin und Philosophin mit schwierigen Fragen und Antworten. Das reicht allerdings schon, um sie angemessen wertzuschätzen.
Charakterstarke Provokateurin
Vergleichen wir unterdessen einmal reale Aufnahmen der echten Hannah Arendt mit der Darstellung von Hauptdarstellerin Barbara Sukowa müssen wir eine verblüffende Ähnlichkeit feststellen. Die herausragenden Fähigkeiten, die wir vor allem bei Maske, Gesicht, Kleidung und selbst bei der Frisur wiedererkennen können, sprechen für eine besonders gute Qualität dieses Films. Es wäre kaum möglich gewesen, Frau Arendt noch besser zu treffen, geschweige denn sie besser zu besetzen. Das wird auch in den charakterlichen Darstellungen mehr als offensichtlich, wenn Sukowa ihre Arendt überaus charakterstark, provokativ, selbstbewusst und kritisch darstellt, etwa wenn sie voller Energie und Kraft vor vielen Leuten offen spricht, um ihre Meinung und Ansicht noch einmal ehrlich und offen zu untermauern. Es ist eine Energie, die wir nur selten zu sehen bekommen. Nebenbei kann aber selbst jeder andere Schauspieler, bis auf den kleinsten Nebendarsteller vollends überzeugen und sowohl optisch, als auch schauspielerisch gute Leistungen abliefern. So macht „Hannah Arendt“ also in vielerlei Hinsicht fast alles richtig. Lediglich ein wenig mehr Dramatik hätte dem Film sicherlich an so mancher Stelle nicht geschadet.
Fazit:
Barbara Sukowa spielt eine überwältigend authentische Hannah Arendt, die sich charakterstark und selbstbewusst präsentiert, um kontroverse gesellschaftliche Fragen aufzuwerfen. Eine Biografie, wie sie kaum hätte besser umgesetzt werden können.