Gandu hat von seinem Leben wirklich die Nase voll. Ohne jegliche berufliche Perspektive hängt er jeden Tag einfach nur ab und verbringt die Zeit auf der Straße, wenn er nicht gerade bei irgendeinem Porno masturbiert. Doch ohne Geld kann man nicht leben, weshalb er sich während dem Sex seiner Mutter ins Schlafzimmer schleicht, um ihrem Macker heimlich das Geld zu klauen. Das hat er auch bitter nötig, um sein Glück bei den örtlichen Lotterien zu versuchen, oder sich die Joints zuzulegen, die ihm das Leben ein wenig verschönern sollen. Immerhin gibt ihm jedoch eines Hoffnung: Die Rapmusik. Seit langem träumt er schließlich davon, ein berühmter Musiker zu werden, der mit radikalen und aggressiven Texten, die Bevölkerung schockiert. Erst sein neuer Freund Riksha scheint ihm da ein wenig auf die Sprünge zu helfen – doch im Drogenrausch ist schon bald nicht mehr klar, ob sein Traum tatsächlich nicht nur in seiner Einbildung in Erfüllung geht…
Kritik:
Normalerweise kennen wir aus Indien nur völlig übertriebenden Kitsch mit bunten Kleidern, nervigem Gesang und den emotionalsten Herzschmerz-Geschichten, die die Filmindustrie zu bieten hat. Dass es jedoch auch anders möglich ist, ein künstlerisch wertvolle Werk abzuliefern, will uns nun „Gandu – Wichser“ beweisen und liefert ein… nunja, nennen wir es Drama… ab, das sich von seiner dreckigsten, provokativsten Seite zeigt. Dementsprechend wenig geeignet ist dieser Streifen für den Mainstream – aber das würden wir von einem Label, das sich „Kontrastprogramm“ auf die Fahnen schreibt, auch nicht wirklich erwarten.
Bengalische Wut
Dass der auf beste Unterhaltung getrimmte Otto-Normalverbraucher mit diesem Film recht wenig anfangen wird, steht bereits fest, wenn wir feststellen, dass „Gandu“ nicht nur fast vollständig in schwarz-weiß gedreht wurde, sondern auch noch keine deutsche Synchronisation mitliefert. Wer diesen Titel „genießen“ will, der muss sich schon mit bengalischem Originalton, was ohnehin schon eine Seltenheit ist, zufrieden geben. Hat der Hauptdarsteller aus seiner Wut heraus auch noch am Tempo seiner Dialoge gedreht, fällt es obendrein nicht immer leicht, dem wirren Gesprächsverlauf zu folgen. Dabei ist der Film sowieso schon schwer zugänglich und für manchen zunächst unverständlich, da die Bildsprache mit schnellen, radikalen Schnitten ebenso wirr erscheint. Der Regisseur, der sich lediglich „Q“ nennt, ohne dabei einer Star Trek-Serie entsprungen zu sein, versucht gelegentlich gar, gleich vier nebeneinander angeordnete Bilder mit vier gleichzeitig durcheinander sprechenden Menschen zu zeigen, die dementsprechend vier gleichzeitige Untertitel erzeugen und den Zuschauer damit völlig verwirren. Doch auch der künstlerisch-musikalische Stil macht das Verständnis nicht gerade einfacher – und das ist keineswegs zwingend als negativ zu betrachten.
Rap gegen Frustration
Für manchen „Quereinsteiger“ würde sich vermutlich die Frage stellen, ob wir es hier mit einem richtigen Drama, oder doch eher mit einem Musikvideo zu tun bekommen. Immerhin ist die Leidenschaft des Hauptprotagonisten die Rapmusik und das fördert er in teils aus Sicht der Körpersprache recht amüsanten musikalischen Einlagen auch zu Tage. Doch inspiriert von seinem jeweiligen Tagesgeschehen produziert er ganz spontan und improvisatorisch einen Rapsong über das Leben – und all das, was ihn doch immer so ankotzt. Damit macht er genau das Gegenteil dessen, was wir in Bollywood-Streifen zu sehen und hören bekommen: Statt indische Popmusik über Liebe und Herzschmerz gibt es eine indische Mischung aus Punk, Rock, Rap und Crossover, die uns von Frust, Masturbation, Drogen, Wut und Perspektivenlosigkeit erzählt. „Gandu“ ist also im Prinzip ein Spiegel für die Bollywood-Szene und bietet dem Zuschauer ein ganz besonderes Filmerlebnis, sofern er sich darauf einlassen kann.
Aggression durch Mimik
Inszenatorisch hält sich „Gandu – Wichser“ aber gewollt auch nicht an die typischen Muster und wirft auf den ersten Blick zusammenhanglose Bilder wild durcheinander. Damit ist kein gewöhnlicher linearer Spannungs- und Dramaturgie-Aufbau möglich, doch setzt man dieses Puzzle an wirren Szenen zusammen, entsteht ein aggressives, emotionales Drama über den sozialen Abgrund einer armen indischen Gesellschaft. Das ist nicht jedermanns Sache, aber immerhin schafft es der Hauptdarsteller die Szenen mit seiner ausgesprochen guten Mimik zu unterstützen. Er mag für den einen schon allein wegen seines niedlichen Segelohren-Gesichtes einen Blick wert sein, während andere von seiner extrem aussagekräftigen Mimik, oder der abgedrehten Körpersprache begeistert sind. Wenn man das mit so manchem starren Hollywood-Face vergleicht, erkennt man eine Energie, die man in Filmen so bisher nicht gewohnt ist. Doch kein Wunder, sind die meisten Szenen in „Gandu“ schließlich echt – inklusive der Sexszenen. Für einen nicht unter Pornografie fallenden Film, sieht man hier nämlich erstaunlich viel, denn sowohl Geschlechtsteile, als auch Oralverkehr wird hier unzensiert, aber „künstlerisch aufgewertet“ gezeigt. Und in welchem amerikanischen Blockbuster sieht man sonst überhaupt auch nur einen Penis in Nahaufnahme? So hat das jedenfalls eine erfrischend „böse“ Authentizität. Übrigens: Die einzige farbige Szene in diesem Film ist ausgerechnet eine solche Sexszene. Eine klare Kampfansage an das übertrieben bunte Bollywood-Kino.
Fazit:
„Gandu“ versucht genau das Gegenteil eines Bollywood-Films zu sein und entpuppt sich dabei als künstlerisch wertvolles Aggressions-Drama, das auf wirre Art und Weise eine nur selten dargestellte Wut und Authentizität darstellt. Ein wahres Kontrastprogramm.