Im Leben von Ali geht irgendwie alles drunter und drüber. Obwohl er nicht einmal sich selbst so richtig versorgen kann, hat er plötzlich auch noch seinen Sohn an der Backe, den er kaum kennt. Nachdem Sam von seiner Mutter als Drogenkurier missbraucht wurde, setzt er fortan alles daran, ihn mit allem zu versorgen und zieht kurzerhand zu seiner Schwester, die ihn tatkräftig unterstützen möchte. Erst ein etwas gefährlicher Job in einer Sicherheitsfirma verschafft ihm ein wenig Sicherheit, während die Schwester sich währenddessen trotz ihres eigenen Berufs um den kleinen Jungen kümmert. Bei einer Schlägerei gibt es erstmals Hoffnung für Ali, denn er lernt die hübsche Stephanie kennen, die im Marineland die Wale trainiert. Dumm nur, dass sie plötzlich auch noch ihre Beine verliert, als eine Show mit den Walen im Desaster endet. Nun versuchen beide, irgendwie einen Sinn in ihrem völlig überforderten Leben zu finden – trotz all ihrer Probleme und Schwächen. Leider leichter gesagt, als getan…
Kritik:
Meistens entspricht das Leben eben nicht genau den Vorstellungen. Der Traum vom perfekten Familienvater mit wundervoller Frau, tollem Eigenheim und gutem Beruf soll nur bei den wenigsten in Erfüllung gehen. Im heutigen Leben bleibt es dann doch meistens eher bei einem schlechtbezahlten Job mit unschönen Arbeitsbedingungen und einem völlig überforderten Privatleben. Kommen dann auch noch Schicksalsschläge hinzu, ist das Leben nicht gerade einfacher zu meistern. „Der Geschmack von Rost und Knochen“ erzählt von einem solchen Leben – und liefert uns damit nicht gerade einfachen Stoff.
Ein Leben voller Vielfalt
Dementsprechend ruhig beginnt das französische Drama auch und konzentriert sich voll auf die Charaktere. Zu Beginn noch etwas zu ruhig und langsam, entsteht dabei aber schon bald eine tiefgründig emotionale Mischung, die gar nicht so recht in das schwarz-weiß Muster zu passen scheint. Die Hauptfigur Ali ist dabei weder ein guter, noch ein schlechter Mensch. Einerseits überfordert und auf den ersten Blick ein richtiges Arschloch ohne gutes Benehmen, hat er das Herz vielleicht doch am richtigen Fleck sitzen. Das zumindest wird nie so recht klar und zwar über die gesamte Laufzeit nicht. Doch wie auch: Menschen sind eben nicht gut oder schlecht, sondern vielfältig mit zahlreichen Facetten. In der einen überforderten Situation wird noch das eigene Kind geschlagen, oder sich wild durch die Gegend gevögelt, in der anderen behandelt man behinderte Menschen, wie vollwertige liebeswerte Geschöpfe, die keinerlei Unterschied zu gesunden vorzuweisen haben. Wie gut Ali am Ende wirklich ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden. Das macht „Der Geschmack von Rost und Knochen“ so vielfältig.
Die vollkommene Gleichbehandlung
Der Film geht dabei einen weiten Schritt voraus und positioniert sich in gesellschaftlichen Fragen deutlich fortschrittlicher, als unsere Gesellschaft tatsächlich ist. Die absolute Gleichbehandlung von Behinderten und Nicht-Behinderten gibt es in der Realität nämlich leider nicht – bei der Hauptfigur Ali allerdings schon. Er empfindet für eine gehbehinderte Frau ebenso viel, wie zuvor für seine nicht-behinderten Partnerinnen und zeigt in der Öffentlichkeit keinerlei Hemmungen. Unabhängig von den Blicken und Reaktionen der anderen, geht er sehr feinfühlig mit der Situation um und gibt ihr neuen Lebensmut. Obwohl er von festen Beziehungen wenig hält und sich eben seiner Freundin gegenüber nicht immer positiv verhält. Für Außenstehende mag Ali ein Arschloch sein, der wahre Anti-Held eben. Doch gesunde Menschen werden scheiße behandelt, warum dann nicht auch behinderte? Diese Frage stellt „Der Geschmack von Rost und Knochen“ bewusst auf und überschreitet damit die Grenzen zwischen Rücksichtnahme und Gleichbehandlung. Diskussionen dürften damit wohl schnell aufkommen, ob absolute Gleichbehandlung eben auch der Verzicht auf Rücksicht auf sich nimmt – und ob nicht genau das vielleicht sogar positiv ist?
Bedrückende Story
Natürlich geht das Drama dabei auch auf die Reaktionen der Mitmenschen ein. Ganz realitätsfern ist der Film eben dann doch nicht. Stattdessen lässt man gezielt eine einzelne Person die Grenzen des Status Quo bewusst überschreiten – und damit entgegen den Strom der Allgemeinheit schwimmen. Das ist erfrischend, mitreißend und beeindruckend zugleich. Besonders einfühlsam und schauspielerisch herausragend zeigen sich dabei die beiden Hauptdarsteller Matthias Schoenmaerts und Marion Cotillard. Die beiden eher in Frankreich und weniger international bekannten Schauspieler dürften dank diesem Film wohl zu den besten Charakterdarstellern unserer Zeit gehören und spielen ihre Rolle auf eine Art und Weise authentisch, wie man es kaum für möglich hält. Das haben wir allerdings auch Regisseur Jacques Audiard zu verdanken, dem es mit den richtigen Bildern und Kameraeinstellungen jederzeit gelingt, die Gedanken und Emotionen der Figuren einzufangen, so vielfältig sie auch sein mögen. Das macht „Der Geschmack von Rost und Knochen“, der seinen Titel übrigens in Bezug auf Mittellosigkeit, Geld durch Straßenkämpfe und den Verlust der Beine erlangt hat, zu einem Streifen voller Überraschungen. Ein Meisterwerk, das man unbedingt gesehen haben sollte.
Fazit:
Beeindruckend einfühlsames Drama über die Gleichbehandlung von Behinderten, das auf vielfältige Weise eine gesellschaftlich fortschrittliche Story bietet, welche die vollkommende Gleichbehandlung zum Status Quo ernennt und dabei trotz all der guten Motive eben doch Menschen von all ihren positiven, wie negativen Facetten zeigt. Sehr einfühlsamer, aber kein leichter Stoff mit überwältigenden schauspielerischen Leistungen.