Der Elefantenmensch |
Land/Jahr: USA / GB 1980 |
Genre: Drama |
Regie: David Lynch |
Darsteller: Anthony Hopkins John Hurt Anne Bancroft |
FSK: ab 12 Jahren |
Dauer: 123 Minuten |
Kaufstart: 23. April 2020 |
Label: Studiocanal |
Schon seit seiner jüngsten Kindheit ist John Merrick furchtbar entstellt. Selbst das Sprechen fällt ihm schwer. Als „Elefantenmensch“ wird er deshalb in einer Freakshow auf Jahrmärkten ausgestellt und von seinem sadistischen „Besitzer“ gequält. Tausende Menschen zahlen bereitwillig Geld dafür, den entstellten Mann wie ein Tier im Käfig begaffen zu können. Bis der Arzt Frederick Treves auf ihn aufmerksam wird und ihn in seinem Krankenhaus unterbringt. Er will ihm Hilfe anbieten, damit er endlich wie ein Mensch leben kann. Doch unklar ist, ob Treves womöglich selbst nur an seiner eigenen Reputation interessiert ist und ob er überhaupt in der Lage ist, Merrick wirklich zu helfen…
Kritik:
Bereits in einem seiner Frühwerke hat sich Regisseur David Lynch an die Herausforderung herangewagt, eine wahre Geschichte zu verfilmen. Eine bedrückende Geschichte, die gerade deshalb unter die Haut geht, weil es die Hauptfiguren des Films tatsächlich gegeben hat. Im 19. Jahrhundert galt Joseph Merrick, auch unter dem Namen John Merrick bekannt, schließlich als schlimmstes Beispiel für menschliche Deformationen – und war mangels damaligem Diskriminerungsschutz wohl unvorstellbarem Leid ausgesetzt. In „Der Elefantenmensch“ können wir diese recht realitätsnahe Leidengeschichte miterleben.
Farblosigkeit als Stilmittel
David Lynch hat sich dafür allerdings schon damals besondere Stilmittel ausgedacht, die sein Werk künstlerisch unterstützen sollten. Würde der Streifen in seiner jüngsten Collector’s Edition nicht von dem hervorragenden und detaillierten Remaster profitieren, könnte man tatsächlich annehmen, der Film sei viel früher gedreht wurden, als dies wirklich der Fall ist: Immerhin war es im Jahre 1980 bereits sehr ungewöhnlich, einen kompletten Spielfilm in Schwarz-Weiß zu drehen und mit einer Ruhe, wie man sie eher einige Jahrzehnte früher kannte. Das aber ist aus zweierlei Gründen durchaus Absicht: Einerseits wollte David Lynch optisch möglichst nah an das viktorianische Zeitalter heran kommen – was ihm großartig gelingt. Andererseits dürfte er auch die Absicht verfolgt haben, bei der Darstellung des deformierten „Elefantenmenschen“ nicht zu sehr ins Detail zu gehen. John Merrick sollte hier nicht vorgeführt werden, sondern eher zu einem menschlichen, aber besonderen Charakter geformt, der er schließlich auch war.
„Ich bin kein Tier“
Das gelingt ihm vor allem deshalb, weil „Der Elefantenmensch“ trotz seiner optischen Stilmittel ein zeitloser Film ist, der sich mit Moral und Medizinethik auseinandersetzt. Er ist vor allem ein Plädoyer für Humanismus und Inklusion, geht er nämlich auf eine einfühlsame Art auf das Leid ein, welches Behinderte erfahren müssen, wenn sie von ihren Mitmenschen ausgegrenzt und angestarrt werden. Der emotionale Funke springt auf das Publikum schnell über, wenn sich gesunde „normale“ Menschen einen Spaß mit ihm erlauben, ihn demütigen und gar Geld dafür bezahlen, das „Monster“ durch ein Fenster hindurch angaffen zu dürfen. Man kann erahnen, wie es womöglich bereits Menschen mit Down Syndrom oder anderen körperlichen und geistigen Behinderungen ergehen muss, die noch vor einigen Jahren und zum Teil auch heute noch kaum eine Chance auf gesellschaftliche Teilhabe haben – und das, obwohl ihre Behinderungen im Vergleich zu John Merricks Schicksal noch geradezu harmlos erscheinen mögen. Erschreckend und bedrückend zu gleich, wenn man bedenkt, wie nah David Lynchs „Der Elefantenmensch“ an den realen Ereignissen bleibt und dabei damalige Berichte berücksichtigt. Generell ist das Drama im Hinblick auf die Darstellung der damaligen Lebens- und Verhaltensweise der Menschen ein Meisterwerk.
Die Grenzen der Ethik
Das gilt unterdessen natürlich und vor allem auch für Anthony Hopkins in der grandiosen Rolle des Arztes Frederick Treves. Selbst für das Jahr 1980 spielt er seine Rolle mit einer unglaublichen Ruhe, die man in der heutigen effektgeladenen Zeit des Actionkinos so kaum noch gewohnt ist. „Der Elefantenmensch“ ist dabei aber keineswegs langatmig, da der äußerst lineare rote Faden es auch dem Mainstream-Publikum sehr leicht macht, sich in die Geschichte hineinzuversetzen. Die Storyerzählung des Films ist dabei nicht kompliziert, aber dennoch komplex auf Grund der tiefgründigen Charakterzeichnung seiner Hauptfiguren. Über lange Strecken hinweg bleibt es schließlich unklar, ob der Arzt Frederick Treves wirklich als herzensguter Mensch am Wohl seines Patienten interessiert ist oder doch nur seine eigene Reputation im Sinn hat, in dem er seinen Kollegen eine Sensation präsentiert und den Behinderten damit auf ähnliche Weise vorführt, wie auf dem Jahrmarkt. Ein Meisterwerk, das im Gedächtnis des Zuschauers bleibt.
Fazit:
Mit besonderen optischen Stilmitteln und einer ausgezeichneten Charakterdarstellung widmete sich David Lynch in „Der Elefantenmensch“ einem bedrückenden realen Schicksal, das unter die Haut geht und erschreckend nah an der Realität inszeniert wurde. Ein tiefgründiges Meisterwerk über Humanismus, Moral und Medizinethik.
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