Im Jahre 1913. Wir stehen kurz vor dem ersten Weltkrieg. In einem kleinen protestantischen Dorf leben ganz normale Familien. Streng, religiös, autoritär in der Erziehung. Ihre Kinder werden regelmäßig mit Züchtigung und Gewalt erzogen. Kein Wunder also, dass schon bald schreckliche Dinge geschehen. Ein Junge wird plötzlich misshandelt im nahegelegenen Wald aufgefunden. Es scheint, als würden die Dorfbewohner die Tat vertuschen, denn niemand will irgendetwas gesehen haben. Dennoch scheint es Parallelen zur Erziehung der Kinder zu geben, ganz so, als würden sie ihren Frust plötzlich an Schwächeren auslassen. Doch seine eigenen Fehler wollen sich die Erwachsenen ja nicht eingestehen. Dumm nur, dass die Misshandlung längst nicht mehr nur Einzelfälle betrifft und schon bald auch ein weiteres Kind misshandelt aufgefunden wird. So wird ein behinderter Junge mit schweren Augenverletzungen entdeckt – und auch jetzt, will niemand wissen, was wirklich geschehen ist. Während die Kinder allerdings auch weiterhin vor ihren Schulkameraden bloß gestellt werden und tagtäglich mit Gewalt und Misshandlung rechnen müssen, will ein Lehrer der Sache nachgehen und entdeckt womöglich eine schreckliche Wahrheit…
Kritik:
Ein alter Mann erzählt uns eine Geschichte aus dem Off. Er erläutert, dass er sich nicht sicher sei, ob all seine Erzählungen tatsächlich der Wahrheit entsprechen, da er manches erst durch Hören-Sagen erfahren hat. Er selbst ist Lehrer und will uns die Geschichte seiner Vergangenheit erzählen. Eine Geschichte aus einer Zeit, in der Züchtigung noch an der Tagesordnung stand und die Gesellschaft nach strengen religiösen Regeln lebte. So streng, dass selbst die Erwachsenen dem kaum standhalten können und ihre Probleme an den Kindern auslassen. Doch er selbst ist dabei eigentlich ein Außenstehender und erzählt uns die Geschehnisse aus der Nachbarsperspektive. Eine Tatsache, die „das weiße Band“ allerdings nicht davon abhalten soll, uns die schrecklichen Dinge auch aus Nahaufnahme zu zeigen. Dabei legt der Regisseur viel Wert auf Detailgenauigkeit und Echtheit. Um die damalige Zeit so genau wie möglich wieder zu geben, verzichtet er auch gänzlich auf Farbe und inszenierte seinen Film vollständig in Schwarz-Weiß. Dennoch kann hier durchaus von Hochglanzbildern die Rede sein, denn die Bilder sind stets äußerst scharf und detailvoll, trotz der Graustufen. Doch optisches Hauptmerkmal liegt bei der genauen Wiedergabe der Kulissen, bis hin zur Kleidung. Nie könnte man den Eindruck erlangen, der Film sei in der heutigen modernen Zeit gedreht, passt er doch perfekt in das Jahr 1913 – bis auf die gute Bildqualität eben. Er versucht, die religiöse Gesellschaft, die strenge Erziehung und all das drum herum möglichst detailvoll wiederzugeben. Doch das gelingt ihm auch hervorragend, wodurch „das weiße Band“ bereits inszenatorisch zu einem wahren Meisterwerk wird. Doch auch das ist noch lange nicht das Wichtigste des Films. Besonders gelungen ist die hervorragende Story, die oftmals aus Unklarheiten und Anspielungen besteht. Parallelen sind immer wieder zu erkennen, zwischen den schrecklichen Taten und der Erziehung der Kinder. Ein junges Mädchen muss in der Schule, die Wand anstarren, weil der Lehrer, dessen Vater, ihr Verhalten nicht gefällt. Einige Zeit später wird ein behinderter Junge mit einer Augenverletzung aufgefunden. Ein Junge, der aufs heftigste misshandelt wurde. Ebenso wird ein Junge von seinem Vater wegen seines Fehlverhaltens mit dem Stock geschlagen. Kurze Zeit später finden wir einen Jungen im Wald, der ebenso mit Stockschlägen misshandelt wurde. Doch „das weiße Band“ lässt völlig offen, ob der jeweilige Mann auch dieses Kind misshandelte, oder ob sich die Kinder nun auf gleiche Weise an Schwächeren auslassen. Allerdings steht hier so oder so die Kritik im Vordergrund, denn was auch geschehen ist, es ist auf die extrem strenge Erziehung und die Misshandlungen seitens der Eltern zurückzuführen. Womit allerdings auch eine gewisse Religionskritik ins Spiel kommt, ist einer der Väter schließlich evangelischer Pfarrer. Besonders eindringlich sind dabei allerdings die Misshandlungsszenen, die einen ganz deutlichen Eindruck hinterlassen. So werden die Stockschläge kurioserweise bereits am Vortag angekündigt, sodass die Kinder – vermutlich als psychisches Druckmittel – bereits die Nacht darüber nachdenken können und entsprechende Angst aufbauen können. Am nächsten Tag werden sie dann in einen Raum gerufen. Die Kamera befindet sich im Flur, stets auf die Tür des Raums gerichtet. Die Kinder betreten mit geknickter Haltung und trauriger Mimik den Raum. Kurze Zeit später – die Kamera hat sich nicht bewegt – hören wir ein entsetzliches Schreien aus diesem Raum, bis die Kinder selbigen wieder verlassen. Viele Szenen dürfen wir uns also gedanklich vorstellen und doch ist gerade das umso eindringlicher. Doch auch dies spiegelt die besonders detailvolle Inszenierung wieder, bei der auch wirklich an alles gedacht wurde. Dabei „fühlt“ sich der Film auch ein wenig, wie ein Gerücht unter Nachbarn an, bei dem man lediglich bestimmte Dinge mitbekommt, die entsprechende Schlussfolgerungen zulassen. Auch wird auf gelungene Weise auf den verspielten Charakter der Kinder eingegangen. Überzeugend dabei auch eine Szene, in der ein kleiner Junge sich erkundigt, was denn der Tod sei. Dies sind ebenso regelrechte Kult-Dialoge, wie die provokanten und herabsetzenden Streitereien zwischen dem Pfarrer und seiner Frau, der diese offensichtlich nicht mehr sonderlich attraktiv findet.
„Ich hab‘ es versucht, mir eine andere vorzustellen, wenn wir miteinander schlafen. Eine, die gut riecht und jung ist. Doch das überfordert meine Fantasie. Am Ende bist es immer nur du. Und dann möchte ich mich nur noch übergeben.“, wäre ein Zitat, das an dieser Stelle wohl passend wäre.
Ebenso provokant, wie: „Hast du keine Angst, dass ich mir etwas antue?“ – „Nur zu, dann überraschst du mich wenigstens. Aber pass‘ auf, es könnte weh tun!“
Wie man also sieht, sind die Dialoge – und das, obwohl es sich hier um einen deutschen Film handelt, nahezu kultverdächtig. „Das weiße Band“ zeigt die jeweiligen Situationen einfach so, wie sie sind. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, ohne sich für irgendetwas zu schämen. Ganz so, als würde uns der Film einfach nur die Wahrheit erzählen und nichts als die Wahrheit. Auch ist interessant, dass wir es hier indirekt mit Naziideologien zu tun bekommen. Immerhin handelt es sich hier um eine Nazigeneration, die ihre Ideologien überall dort verbreiten könnte, wo es Leid und Unglück gibt – das fiktive Dorf des Films bietet dafür regelrecht eine Steilvorlage. Doch man muss schon genau hinschauen, um wirklich zu merken, dass es hier indirekt tatsächlich um derartige Ideologien handelt. Direkte Andeutungen gibt es nicht, ebenso wenig, wie eine direkte Äußerung von entsprechendem Gedankengut. Nazis ansich, bekommen wir hier außerdem ebenso wenig zu sehen. Das ist eine erfrischende Tatsache, da wir Weltkriegs- und Nazifilme doch inzwischen zu genüge haben und diese allmählich nicht mehr sehen können. Und was die Thematik um Kindesmissbrauch, Misshandlungen und Pädophilie – ja, wie bekommen hier auch einen Vater zu sehen, der sich an seiner Tochter vergreift – angeht, gehört „das weiße Band“ ebenso zu einem der eindrucksvollsten Filme der letzten Jahrzehnte. Aber davon abgesehen, muss man schon zugeben, dass es sich um eine erstaunliche Leistung handelt, so viele Thematiken, Perspektiven, Ideen und Innovationen mit einer solch enormen Strenge, aber zugleich perfekten Umsetzung, in einen einzelnen Film zu bekommen und das auch noch auf eine Art, bei der so viele Fragen offen bleiben, dass am Ende auch noch massig Diskussionsstoff übrig bleibt. Oder kurz gesagt: „das weiße Band“ ist ein wahres Meisterwerk!
Fazit:
Mit „das weiße Band“ präsentiert uns Regisseur Michael Haneke einen Film über die strengen Verhältnisse kurz vor dem ersten Weltkrieg und inszeniert seinen Film mit einer meisterhaften Strenge, Detailverliebtheit, Authenzität und geschickten Indizien, durch die der Film so ziemlich jeden zum Nachdenken anregen dürfte und reichlich Diskussionsstoff übrig lässt. Man sollte sich von den schwarz-weißen Bildern also keineswegs abschrecken lassen, sondern lieber diese hervorragende Story dieses wahrhaften Meisterwerks genießen.
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