Als Hitler das rosa Kaninchen stahl |
Land/Jahr: D / CH 2019 |
Genre: Drama |
Regie: Caroline Link |
Darsteller: Riva Krymalowski Marinus Hohmann Carla Juri Oliver Masucci Justus von Dohnanyi |
FSK: ab 0 Jahren |
Dauer: 119 Minuten |
Kaufstart: 10. September 2020 |
Label: Warner Bros. |
Im Jahre 1933: In ihrer Heimat Berlin hat sich die junge Anna eigentlich immer sehr wohl gefühlt. Dort hatte sie zahlreiche Freunde und ein stabiles Umfeld. Es gibt dabei nur ein kleines Problem. Die Familie besteht vollständig aus Juden und schon in zwei Wochen steht eine Wahl an, die alles in ihrer Heimat verändern könnte. Denn wenn Adolf Hitler die Macht übernimmt, ist es für Familie Kemper in Berlin nicht mehr sicher. Für Annas Vater, einen Theaterkritiker, der sich immer offen gegen die NSDAP ausgesprochen hat, gibt es daher keinen Grund zu zögern: Sie müssen das Land in Richtung der Schweiz verlassen, nur dort sind sie sicher. Doch für Juden gestaltet es sich auch im Ausland zunehmend schwerer, eine Arbeit zu finden und auch die Kinder müssen sich in ihrer neuen Heimat erst zurecht finden – stets in der Ungewissheit, wie lange sie wohl dort bleiben würden…
Kritik:
Die Biografie von Judith Kerr, geschrieben aus der Perspektive eines jungen Kindes, gehört seit Jahrzehnten zur wichtigsten Literatur Deutschlands. Für viele Schüler ist sie inzwischen obligatorischer Unterrichtsstoff, der fest in unserer Erinnerungskultur verankert ist. Fast fünfzig Jahre nach dem Erscheinen des Romans gibt es nun erstmals auch eine Verfilmung von Caroline Link.
Nazi-Aufklärung für Kinder
Die hält grundsätzlich stark an der Buchvorlage fest: Ebenfalls aus Sicht eines Kindes erzählt, in diesem Fall der jungen Anna Kemper, erleben wir darin die Geschichte einer jungen Familie die kurz vor der Wahl Hitlers ins Ausland fliehen muss, um der politischen Verfolgung zu entgehen. In der heutigen Zeit ist „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl” damit ein zeitloses Werk geworden: Während Jahr für Jahr neue Flüchtlinge in unserem Land aufgenommen werden und bei einigen Bevölkerungsgruppen auf Widerstand stoßen, zeigt uns das Drama eine sehr ähnliche Flüchtlingsgeschichte einer jungen Familie, die einst aus Deutschland fliehen musste und sich ebenfalls schwer damit tat, in einem fremden Land Fuß zu fassen. Mit den schwierigen Hürden, sich an die Sitten der Bevölkerung anzupassen, ihre Sprache zu erlernen und auch mit der Ausgrenzung umzugehen, die sich um den hohen Bildungsstand jüdischer Menschen drehen.
Der ständige Abschied
Vergleichbar mit dem Roman begleiten wir die Familie dabei auch bei ihrer Reise durch immerhin drei verschiedene Länder. Aus ihrer Heimat in Berlin, geht es schließlich zunächst in die Schweiz und anschließend nach Frankreich. Die jeweiligen Aufenthalte nehmen dabei stets einen eher kleinen Rahmen ein: Zeitlich begrenzt steht der Film vor der schwierigen Aufgabe, trotz dieser kurzen Zeit einprägsame Charaktere zu formen, die uns lange in Erinnerung bleiben. Das gelingt „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl” mit Bravour: Bereits in der Schweiz entpuppen sich die jungen Kinder rund um Anna und Max als starke Figuren, deren Jungdarsteller hervorragende Leistungen abliefern. Die emotionale Ebene funktioniert also hervorragend und trotz all seiner Dramatik bekommen wir auch humorvolle Momente zu sehen, wenn sich die beiden Kinder etwa in einem Schreibwarenladen an der französischen Sprache versuchen – und amüsant scheitern.
Historisch geringfügig verfälscht
Damit drückt „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ aber auch die Schwierigkeit der Integration aus, mit der Flüchtlinge auch heute noch konfrontiert sind: Der ständige Abschied, das regelmäßige Erlernen einer neuen Sprache und damit immer wieder weitere Hürden werden einfühlsam präsentiert. Leider liegt der Fokus des Films tatsächlich stärker bei einer Pro-Flüchtlings-Geschichte als bei historischer Korrektheit: Zu wenig wird schließlich der wahre Fluchtgrund der Familie deutlich, zu sehr entsteht der Eindruck, sie würden wegen ihres Judentums flüchten: Tatsächlich floh Alfred Kempner, die reale Person auf welcher der Film basiert, nicht wegen seines Glaubens aus Deutschland, sondern wegen seiner offenen Stellungnahmen gegen die NSDAP. Kempner war ein sogenannter „Volksverräter“, dessen Schriftstücke Opfer der Bücherverbrennung wurden. Die tatsächliche Judenverfolgung begann jedoch erst 1942. Die regelmäßige Suggerierung des Films, die Familie müsse fliehen, „weil sie Juden sind“ ist historisch so nicht korrekt und die wahren Beweggründe, so sie auch während des Films gelegentlich thematisiert werden, werden zu sehr zur Nebensächlichkeit, obwohl nicht weniger relevant und dramatisch. Dennoch: „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ ist ein Film, der zum Nachdenken und Recherchieren anregt und damit wahrlich einen hohen pädagogischen Wert hat.
Glaubwürdigkeit durch Mehrsprachigkeit
Und dabei bietet er obendrein auch eine hohe Authentizität, bei der durchaus die Vorteile einer deutschen Produktion deutlich werden: Darsteller, die deutsch sprechen, muss man für den deutschen Markt schließlich nicht synchronisieren und so dürfen die Figuren in „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ nur allzugerne ihren eigenen Dialekt sprechen und behalten ihre Muttersprache. Die flüchtende Familie bleibt da bei ihrem Berlinerisch, die Schweizer sprechen selbstverständlich ihr gewohntes Schweizerdeutsch, das wir trotzdem einigermaßen gut verstehen und auch die Franzosen dürfen ihre Landessprache behalten, um die Sicht der Flüchtlinge umso mehr deutlich zu machen.
Die Vor- und Nachteile eines deutschen Films
An dieser Stelle erscheint der Film gerade deshalb authentisch, weil er eine deutsche Produktion ist, an anderer Stelle wird genau das hingegen zum Problem: Die Überraschungen bleiben, so wie wir das von deutschen Produktionen, die zudem mit zahlreichen Fördergeldern finanziert wurden, leider vollkommen aus. Wir merken „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl” zu jedem Zeitpunkt an, dass es sich um einen deutschen Film handelt, was letztendlich dem „deutschen Schema F“ zu verdanken ist, wegen dem man dem Drama durchaus eine gewisse Mutlosigkeit attestieren könnte. Das muss zwar nicht zwangsläufig zu einem schlechten Film führen, denn das ist hier eindeutig nicht der Fall, offenbart aber die große Spießigkeit des Films, der einfach keinen Raum für neue Ideen lässt. Auflockern kann das lediglich der grandiose Oliver Masucci, der mit seinen schauspielerischen Leistungen stellenweise einen „deutschen Mads Mikkelsen“ mimt und damit auf ganzer Linie ebenso überzeugt, wie die beiden Jungdarsteller in den Rollen Anna und Max. So ganz sollte man sich von der Herkunft und Themas des Films dann vielleicht doch nicht abschrecken lassen.
Fazit:
Gelungene und einfühlsame Verfilmung des gleichnamigen Buches von Judith Kerr, das die Flucht vor dem Nationalsozialismus aus der Sicht eines Kindes erzählt. Trotz seines typischen Schemas des deutschen Films überzeugt er mit starken einprägsamen Figuren und zwei erstklassigen jungen Hauptdarstellern, auch wenn die tatsächlichen Fluchtgründe inhaltlich etwas untergehen.
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