Als die junge 13-jährige Jasira plötzlich zu ihrem libanesischen Vater nach Texas verfrachtet wird, weiß sie noch gar nicht so recht, wie ihr geschieht. Ihre Mutter hat nämlich längst beschlossen, mit ihrem neuen Freund zusammenleben zu wollen und schiebt ihre Tochter daher kurzerhand zu ihrem Vater ab. Da muss sie nicht nur all ihre Freunde hinter sich lassen, sondern wird auch noch feststellen, dass sie es fortan mit einem extrem konservativen und rassistischen Vater zu tun hat, bei dem sie praktisch keinerlei Privatsphäre mehr genießt. Seine Umwelt kann er nicht leiden, einen schwarzen Freund darf sie auch nicht haben und nicht einmal das Tragen von Tampons wird ihr mehr erlaubt. Dumm nur, dass Jasira nicht im Sinn hat, ihrem Vater zu gehorchen und sich sowohl mit dem schwarzen Schulkameraden Thomas einlässt, als auch noch eine gewisse erotische Anziehungskraft in Gegenwart ihres deutlich älteren Nachbarn empfindet. Da ist das große Chaos also bereits vorprogrammiert…
Kritik:
In „Unverblümt – Nichts ist privat“ wird schnell klar, womit wir es hier zu tun bekommen: Hier geht es nicht etwa um mangelnde Privatsphäre in einem Überwachungsstaat, sondern viel mehr um das schwierige Leben eines jungen Mädchens, das keinerlei Privatsphäre genießen kann und mit einem rassistisch-konservativen Vater aufwachen muss. Doch anders, als in den Filmen über muslimische Mädchen, ist „Unverblümt“ weit komplexer und bietet deutlich mehr Charaktertiefe. Denn Jasira hat mehr, als nur ein Problem an der Backe…
Problematische Selbstfindung
Mit Summer Bishil dürfte also sehr schnell klar sein, dass wir eine hervorragende junge Charakterdarstellerin geboten bekommen, die trotz ihres damals jungen Alters von 19 Jahren perfekte Leistungen abliefern konnte. Zunächst mag es da natürlich erstaunlich wirken, dass sie es hinbekommt, in „Unverblümt“ tatsächlich die Rolle eines 13-jährigen Mädchens zu spielen und dabei keineswegs älter auszusehen. Die Maske ist also perfekt und wir kaufen ihr jederzeit das junge unschuldige Alter ab. Doch davon abgesehen kann sie noch weit mehr Qualitäten zeigen, wenn es plötzlich um die Entdeckung ihrer eigenen Sexualität geht. Besonders die recht paradoxe Situation bei ihrer vermeintlichen Vorliebe zum eigenen Geschlecht und ihren gleichzeitigen ersten sexuellen Annäherungsversuchen gegenüber ihrem Klassenkameraden Thomas mag dabei sehr authentisch erscheinen und die Komplexität der Pubertät perfekt darstellen. Ihre familiäre Situation sorgt unterdessen für eine ausgesprochen starke Dramatik, denn als Mädchen, das zwischen zwei Elternteilen hin und her gerissen wird und bei ihrem libanesischen Vater aufwachsen muss, hat sie es nicht gerade leicht. Doch statt die Trennungsschwierigkeiten zum Aufhänger zu machen, wie vergleichbare Filme, konzentriert sich „Unverblümt“ eher auf die Situation des Mädchens und ihrem Kampf gegen den Rassismus. Dabei kommen dann sogar politische Dimensionen auf, denn ihr Vater verbringt seine Zeit damit, seinen Ruf als Saddam Hussein-Befürworter loszuwerden und hat alles andere, als sexuelle Aufklärung im Sinne. Seine Erziehung lautet daher eher: Unterdrückung und Enthaltsamkeit, sodass seine Tochter sich praktisch von der kurzen Leine losreißen muss, was zwangsläufig zu extrem unterhaltsamen und dramatischen Auseinandersetzungen führt, die der Zuschauer nicht mehr so schnell vergessen wird.
Das Tabuthema
Ein wahres Highlight mag allerdings eher das recht heikle Tabuthema um Sex mit Minderjährigen sein. Denn während Erwachsene, die versuchen minderjährige Mädchen zu verführen, meist eher als Verbrecher gesehen werden, wagt sich „Unverblümt“ jedoch in eine andere Richtung zu gehen. Jasira nämlich entwickelt offenbar schließlich eine gewisse Anziehungskraft gegenüber dem verheirateten und mindestens drei Mal so alten Nachbarn, der am liebsten sofort mit ihr in die Kiste springen möchte. Doch was geschieht wohl, wenn ein so junges Mädchen sich freiwillig auf eine solche Affäre einlässt? Muss das Mädchen auch dann noch geschützt werden? Mit dieser recht schwierigen und oft tabuisierten Frage beschäftigt sich „Unverblümt“ in recht großem Umfang, was dem Film sicherlich genügend brisanten Stoff liefert, um einen hohen Tiefgang bei der Story zu erreichen. Wenn dann auch noch die Charakterzeichnungen wirklich perfekt ausgefallen sind und die Situation allmählich mit all ihrer Komplexität und Vielfältigkeit zu eskalieren droht, wird dieser Film zu einem Ereignis, das man nicht alle Tage zu sehen bekommt. Denn nicht oft bekommen wir Dramen geboten, die jegliche Aspekte und Probleme einer schwierigen Kindheit beachten, ohne dass auch nur ein Thema zu kurz kommt. Somit dürfen wir „Unverblümt“ als wahres und einzigartiges Meisterwerk bezeichnen.
Fazit:
Ergreifendes Drama um eine schwierige Kindheit und sexueller Selbstfindung mit extrem tiefgehenden Charakteren und einem Tabuthema als unvergesslicher Treffer, der in die Filmgeschichte eingeht.