Tausende von Netzaktivisten tun sich regelmäßig zusammen, um mittels Onlinekonferenz brisante und schwierige Aktionen zu planen. Mit demokratischen Abstimmungen gründen sie somit das erste virtuelle Land der Welt und dekorieren den Vatikan mit Kondom-Automaten und verbreiten die Darwin-Bibel in Massenauflage. Es entsteht dabei eine Organisation, die in der Lage ist, die Welt auf radikale Weise zu verändern und plötzlich Millionen von virtuellen Mitbürgern zu umfassen. Dumm nur, dass sich eines Tages ein Trittbrettfahrer als Sprecher von „8. Wonderland“ ausgibt, um sich mit Werbekampagnen finanziell zu bereichern und die Mächtigen der Welt ihnen brutale Gewalttaten in die Schuhe schieben. Unter Beschuldigungen eine terroristische Vereinigung darzustellen, ist die Jagd nach ihnen von nun an eröffnet…
Kritik:
Für die meisten Menschen auf unserer Welt gilt das Internet immer noch als ein großes Mysterium, dessen Nutzen kaum bekannt ist. Die von „Digital Natives“ höhnisch als „Internetausdrucker“ bezeichneten Otto-Normalverbraucher, die sich überwiegend eher mit dem realen Leben beschäftigen, können kaum erahnen, welch großes Mobilisierungspotential die Online-Medien bieten und welche Auswirkungen, Bewegungen wie Wikileaks, oder die Piratenpartei haben können. Mit dem Film „8. Wonderland“ befassen sich die Regisseure Nicolas Alberny und Jean Mach nun mit der atemberaubenden Vision eines rein virtuellen basisdemokratischen Staates, der von der Realität gar nicht so weit entfernt ist.
Anonymous lässt grüßen
Bei den hervorragenden Einblicken in die Welt der Netzaktivisten, bei denen die Macher zeigen, dass sie etwas von dieser Bewegung verstehen, kommt natürlich schnell eine gewisse Mischung aus den Machenschaften der sogenannten „Anonymous“-Gruppe und der Piratenpartei auf. Während die Bewohner des virtuellen Landes 8. Wonderland auf demokratische Weise via Internet über geplante Aktionen abstimmen, wie es mit dem realen „Liquid Feedback“-System bereits erprobt wird, spiegeln die Aktionen der Gruppierung die typischen, teils kriminellen Machenschaften der „Anonymous“ wieder, die beispielsweise für den Hackerangriff auf Visa und Mastercard zur Unterstützung von Wikileaks verantwortlich waren. Doch die Kampagnen der „8. Wonderland“ sind von weit intellektuellerer Natur und wollen dem Zuschauer mit gezielten Angriffen auf die Kirche und den Politikern die Augen öffnen. Mit geschickten Methoden werden dabei die Zusammenhänge zwischen Kirche, Staat und Wirtschaftsunternehmen entlarvt, welche beispielsweise für die AIDS-Verbreitung in Afrika mitverantwortlich sind. Dem Zuschauer soll dabei klar werden, mit welchen Mitteln sie immer wieder von den Mächtigen ihres Landes verarscht und betrogen werden – und dies gelingt dem Film auf beeindruckende und realistische Weise.
Damit die Inszenierung möglichst realistisch wirkt, setzt „8. Wonderland“ auf einen recht ungewöhnlichen Aufbau. Immer wieder werden die Ereignisse und Entwicklungen mittels vermeintlichen Nachrichtensendungen und Fernsehinterviews aufbereitet, um auch das Medienecho der Aktionen darzustellen. Reißerische und aufbauschende Medien werden dabei konsequent an den Pranger gestellt und boykottiert, was auch den Lesern und Zuschauern der Sensationsberichterstattung unserer Medienlandschaft den Horizont erweitern könnte. Um die globale Vernetzung der „8. Wonderland“-Community bildlich darzustellen, werden vollständig animierte Szenen verwendet, in denen sich die Webcam-Videos innerhalb einer scheinbar virtuellen Welt im Kreis drehen und wir somit quasi alle Konferenzbeteiligten gleichzeitig sehen und bei ihren Gesprächen belauschen können. Damit wird dem Zuschauer bestens vor Augen geführt, wie internationale Bewegungen von Netzaktivisten kommunizieren und ihre Planungen rein online organisieren. Besonders interessant mag dies für jene Zuschauer sein, die mit dem Internet bisher wenig zu tun hatten und endlich verstehen wollen, wie die Kommunikation und Organisation bei Gruppierungen, wie „Anonymous“ oder der „Pirate Party International“ wohl funktioniert. Doch auch organisatorische Probleme, wie der hohe Aufwand für wirklich basisdemokratische Abstimmungen und der schwierige Umgang mit den Medien wird thematisiert. Denn nicht jede Aktion, ist auch eine gute Aktion, sodass sich „8. Wonderland“ auch mit Selbstkritik nicht zurückhält, wenn politische Maßnahmen plötzlich in Gewalt ausarten und den Beteiligten die Macht über den Kopf wächst.
Vernetzte Einzelschicksale
Doch kommen wir einmal weg von den interessanten politischen Aspekten, die „8. Wonderland“ bietet, denn der Film ist weit mehr, als nur informativ. Genauer gesagt will und kann dieser Film durchaus unterhalten, sodass dies auf äußerst ungewöhnliche Weise geschieht. So sind die Protagonisten schließlich alle vernetzt und bieten dennoch eine gemeinsame Story. Während wir es normalerweise aus Thrillern gewohnt sind, dass die Personen, die sich bei ihren Vorgehensweisen absprechen, stets im selben Raum befinden, so kann „8. Wonderland“ praktisch auf der gesamten Welt gleichzeitig spielen. Sei es in Europa, Amerika, Asien, oder Afrika – alle führen sie koordiniert eine gemeinsame Aktion aus und haben ein gemeinsames Interesse, das die Story perfekt zusammen hält und den Thriller äußerst spannend gestaltet. Die nötigen Einzelschicksale, die auch familiäre und kulturelle Probleme mit sich bringen und sogar die Sichtweisen eines Iraners zeigen, der für den Bau von Atomkraftwerken in seinem Land ist, um die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten in Frage zu stellen. Damit bietet der Film eine geniale Verbindung von hochbrisantem politischen Stoff und einer gelungenen Inszenierung der einzelnen Protagonisten. Wenn wir dann bedenken, dass einer der „8. Wonderland“-Aktivisten auch noch im Geheimdienst eingeschleust ist, bekommt der Film zudem einen gewissen Spionagethriller-Aspekt, der zusätzlich für Hochspannung sorgt. Einen solch absolut genialen Film sollte also niemand verpassen, der mehr geboten bekommen möchte, als typisches Hollywood-Popcornkino.
Fazit:
„8. Wonderland“ ist weit mehr als nur ein Thriller, der den Zuschauer unterhalten will. Viel mehr bekommen wir einen intellektuellen und hochbrisanten Polit-Thriller mit extrem realistischen Szenarien geboten, die die Mächtigen des Landes anprangern und dem Bürger die Augen öffnen wollen und können, während er in die Welt der Netzaktivisten geführt wird.