Nenn sie nicht Sissy |
Land/Jahr: AUS 2022 |
Genre: Horror |
Regie: Hannah Barlow Kane Senes |
Darsteller: Hannah Barlow Aisha Dee Emily De Margheriti |
FSK: ab 18 Jahren |
Dauer: 98 Minuten |
Kaufstart: 23. Februar 2023 |
Label: Plaion Pictures |
In ihrer Kindheit hatte Cecilia noch eine richtige beste Freundin und beide schworen sich, diese Freundschaft niemals enden zu lassen. Heute, immerhin zwölf Jahre später, hat sich im Leben von Cecilia so einiges geändert. Zu ihrer einst besten Freundin Emma hat sie schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Stattdessen verbringt sie ihr Leben als erfolgreiche Influencerin, verfügt über hunderttausende Follower und bietet eine Art Online-Coaching zur Selbstakzeptanz an. Das hat vor allem auch der eigenen Psyche von Cecilia über einige Jahre geholfen. Als sie dann jedoch plötzlich Emma in der Innenstadt wiedertrifft, kommen die alten Erinnerungen wieder hoch. Eingeladen zu einem „Mädelswochenende“ in einer idyllischen Hütte, erinnert sich Cecilia wieder, warum die Freundschaft auseinanderbrach: Heftigste Mobbing-Attacken. Und mit diesem Hintergrund soll dieses Wochenende ganz und gar nicht spaßig werden…
Kritik:
Die Qualen des Mobbing. Davon können zahlreiche Kinder und Jugendliche wohl mehr als ausführlich berichten. Über die psychischen Probleme, die in Folge dessen damit einhergehen, wohl ebenso. Cecilia mit dem unliebsamen Spitznamen „Sissy“ kann davon wohl auch ein Liedchen singen.
Die Sehnsucht nach Mord
Der Zuschauer allerdings in der ersten Hälfte des Films ziemlich bald auch. Der Anfang von „Nenn sie nicht Sissy“ macht nämlich glatt den Eindruck, als wollte der Streifen vor allem auch sein Publikum mobben. So richtig nachvollziehen kann man da nicht, wieso die Influencerin Cecilia ihrer alten Kinderfreundschaft noch hinterher trauert: Die Protagonisten, die wir hier in den ersten 45 Minuten des Films zu sehen bekommen, sind vielleicht die nervigsten Figuren der Filmgeschichte. Ununterbrochenes Gegacker, sinnbefreites (überaus lautes) Geschwätz, herablassende Kommentare, völlig lächerliche Interessen. In diesem Film ist absolut niemand wirklich sympathisch und im realen Leben würden die meisten Zuschauer vor diesen Figuren wohl recht schnell flüchten. Dass die komplette Gruppe dabei der LGBT-Community angehört, könnte man – wenn man frech wäre – an der Stelle schon fast als homophob deuten, so unglaublich unangenehm und unsympathisch werden die Charaktere hier in Szene gesetzt.
Der Bruch
Dass das gewollt ist, wird dann allerdings mit dem Bruch des Films exakt zur Mitte deutlich. Und genau deshalb hat „Nenn sie nicht Sissy“ wohl auch seine hohe Altersfreigabe erhalten: Wir sehnen uns geradezu danach, dass Hauptfigur Cecilia doch endlich die erste Person umbringen mag. Ihre Mitmenschen sind schließlich so nervig, dass wir uns über ihren Tod geradezu freuen, damit sie endlich für den Rest der Laufzeit die Klappe halten. Gleichzeitig beginnt damit aber auch ein stilistischer Bruch, denn „Nenn sie nicht Sissy“ wechselt plötzlich in eine völlig andere Richtung. Aus nervig-alberner Stimmung wird plötzlich purer Ernst. Die vermeintliche Teenie-Komödie schwenkt um zu einem wahrhaften Psychohorror-Streifen und Aisha Dee läuft zur absoluten Hochform aus. Der Tonfall auch in den Dialogen auf einmal ein gänzlich anderer. Wut, Verzweiflung, Ernsthaftigkeit sind jetzt das Stilmittel des Films – und von jetzt auf gleich, mit einem regelrechten Cut, beginnt „Nenn sie nicht Sissy“ auf einmal Spaß zu machen.
Berechnender Psychohorror
Das liegt auch an der schauspielerischen Leistung von Aisha Dee, die anfangs noch leicht amateurhaft wirkt, in der zweiten Hälfte aber ihre volle Wirkung entfaltet. Das anfangs so unsichere Mädchen, dem es nach langjährigen Mobbingerfahrungen an jeglichem Selbstwertgefühl mangelt, entfaltet nun einen unerwarteten psychologischen Tiefgang. „Nenn sie nicht Sissy“ ist nämlich auch eine Art Psychostudie über eine unberechenbare Frau, die psychisch überaus labil ist. Und so wird aus der Unsicherheit schon bald ein berechnendes Monster, das voller Sadismus jeden blutigen Mord genießt und all ihre Mitmenschen um den Finger wickelt. Eine vielschichtige Figur, die durch Social Media gelernt hat, sich selbst darzustellen und stets ins rechte Licht zu rücken. Ein bisschen wie die Darstellung einer Borderline-Erkrankung.
Fazit:
Es ist beeindruckend und faszinierend zugleich, wie es ein Film schafft, von seinem amateurhaften Nervfaktor innerhalb von neunzig Minuten zu einem vielschichtigen, berechnenden Psychohorror zu mutieren. Das macht den außergewöhnlichen Mix aus Splatter, Mobbing-Drama und Social-Media-Satire einerseits genial, andererseits aber in der kompletten ersten Hälfte auch unfassbar nervtötend.
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