Loveless |
Land/Jahr: RUS 2017 |
Genre: Drama |
Regie: Andrey Zvyagintsev |
Darsteller: Maryana Spyvak Alexey Rozin Matvey Novikov Marina Vasilyeva |
FSK: ab 16 Jahren |
Dauer: 118 Minuten |
Kaufstart: 28. Februar 2020 |
Label: Alpenrepublik |
Zhenya und Boris lassen sich scheiden. Beide haben längst einen neuen Partner und können ihr neues Leben kaum noch abwarten, nachdem der Haussegen schon seit Jahren schief hängt. Nahezu ununterbrochene Streitereien trüben das Zusammenleben in der gemeinsamen Wohnung und hat ihre einstige Beziehung längst unerträglich gemacht. Das Problem nur: Die beiden haben ein gemeinsam Kind, den 12-jährigen Sohn Alyosha. Und während sie ihre Auseinandersetzungen direkt vor den Augen des Sohnes austragen und nur noch mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind, merken sie zunächst nicht einmal, wie der Junge auf Grund seines psychischen Leids eines Tages nicht mehr nach Hause zurückgekehrt ist…
Kritik:
Der Name Andrey Zvyagintsev dürfte wahrscheinlich nur echten Kennern bekannt sein. Seit seinem Meisterwerk „Leviathan“ vor rund sechs Jahren dürfte er bei eingefleischten Cineasten womöglich als einer der besten russischen Regisseure gelten. Mit seiner politisch angehauchten Story machte er sich damals sogar die russisch-orthodoxe Kirche zum Feind. Bei seinem neuesten Werk allerdings versucht er sich mal an einer etwas einfacheren Geschichte.
Psychischer Missbrauch
„Loveless“ dürfte nämlich ohne Zweifel ein ganz typisches Familiendrama sein. Keine Politik, keine allzu starke Anfeindung mit der Religion, sondern stattdessen eine vergleichsweise einfache Geschichte mit einem starken Fokus auf den Charakteren. Im Kern der Handlung ein 12-jähriger Junge, dessen Verschwinden zu einer groß angelegten Suchaktion führt. Doch eigentlich steht die Perspektive des Jungen gar nicht so sehr im Mittelpunkt, das eigentliche Drama nämlich spielt sich um ihn herum ab: Mit zwei Elternteilen, die beide bereits einen neuen Partner haben und sich ununterbrochen streiten, thematisiert „Loveless“ eher den psychischen Missbrauch eines Minderjährigen. Eines minderjährigen Jungen, dessen Eltern sein seelisches Leid nicht einmal erahnen, obwohl er ihnen sogar ausdrücklich ein erschöpftes „ich kann nicht mehr“ mitteilt. Ignoriert zwischen der Anhäufung eigener Probleme und eigentlich zu jeder Zeit nur eine Last.
Nie gewollt und doch geboren
Da wird schnell klar, wieso Zvyagintsev wohl die beste Wahl für den Regiestuhl war. Ihm gelingt es einmal mehr, die titelgebende Problematik „Loveless“ auch emotional und optisch umzusetzen. Der Mangel an Liebe und Zuneigung gegenüber des Kindes kommt schon in den ersten Minuten hervorragend rüber, daran wird sich auch im Laufe dieses Films zu keinem Zeitpunkt etwas ändern. Lange melancholische Einstellungen verbildlichen die Hoffnungslosigkeit und Depression in den Kinderaugen, wenn Weglaufen die einzige Option scheint, um dem ständigen psychischen Stress zu entgehen. Weglaufen vor einer Mutter, die niemals ein Geheimnis daraus macht, den Jungen eigentlich nie gewollt und doch besser abgetrieben zu haben. Und ebenso vor einem Vater, der längst ein neues, vermeintlich besseres Kind mit einer anderen Frau erwartet. Kein Zweifel: „Loveless“ ist genauso wie der vorherige Film „Leviathan“ heftiger Stoff, der unter die Haut geht.
Patriarchal und unorthodox zugleich
Ein bisschen kommt dabei natürlich die russische Perspektive zum Vorschein, die mitunter auch mit einem etwas klassischeren Familienbild einhergeht, als dies mittlerweile in Europa der Fall sein mag. „Loveless“ bezieht insgesamt eine nach außen scheinende pro-patriarchale Haltung, bei der die Mutter um einiges schlechter wegkommt, als der immerhin besorgte Vater, der sich tatkräftig mit auf die Suche nach seinem Sohn macht, während die Mutter sich lieber mit ihrem Liebhaber vergnügt. Das kann man kritisch sehen, aber auch als künstlerische Freiheit stehen lassen, die das Publikum zum Nachdenken anregt, weil “Loveless” zugleich auch die Gegenperspektive einbringt. Hervorragend gespielt wird es von Maryana Spyvak und Alexey Rozin jedenfalls gleichermaßen. Besonders Spyvak kann ihre etwas unkonventionelle Darstellung einer Mutter, die ihr eigenes Kind eigentlich nie geliebt hat und damit eine Skandalfigur in der christlich-orthodoxen Umwelt abgibt, absolut glaubwürdig verkörpern – womit das Drama aus russischer Perspektive womöglich moderner und rebellischer erscheint, als es für deutsche Sehgewohnheiten den Eindruck machen könnte. Die negative Haltung gegenüber der orthodoxen Kirche, die Zvyagintsev schon in „Leviathan“ etwas offensiver einbaute, spielt immerhin auch dieses Mal stets eine gewisse Rolle, was dem Streifen auch eine erfrischende Kritik an russischen Gesellschaftsnormen verleiht.
Fazit:
Nach seinem Meisterwerk „Leviathan“ begnügt sich Regisseur Andrey Zvyagintsev mit einem etwas einfacheren Familiendrama über die Suche nach einem verschwundenen Kind. Dabei hat die Thematisierung des psychischen Missbrauchs eines Minderjährigen allerdings eine große emotionale Härte, die dank des etwas eigensinnigen Drehstils mit langsamen Einstellungen und intensiven Figuren unter die Haut geht.
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