Roma |
Land/Jahr: MEX 2018 |
Genre: Drama |
Regie: Alfonso Cuarón |
Darsteller: Yalitza Aparicio Marina de Tavira Daniela Demesa Diego C. Autrey Carlos Peralta |
FSK: ab 12 Jahren |
Dauer: 135 Minuten |
Kaufstart: Netflix: 14. Dezember 2018 |
Label: Netflix |
Mexiko im Jahre 1970: Die junge mexikanische Ureinwohnerin Cleo arbeitet als Haushälterin für eine etwas wohlhabendere Familie in der Stadt. Ihren Alltag verbringt sie damit, die Wäsche zu waschen, das Haus zu putzen und die Kinder zu versorgen – während die Eltern oftmals nicht die notwendige Zeit dafür aufbringen können. In Armut aufgewachsen und begleitet von einer stetigen Existenzangst, wird die Situation vor der Haustüre für sie immer schwieriger. Politische Unruhen bahnen sich an und gewalttätige Aufstände gehören inzwischen zum normalen Leben dazu. Selbst für die Kinder scheint die Beobachtung heftiger Gewalt durch Soldaten keine Besonderheit zu sein. Doch für Cleo steht damit viel auf dem Spiel, während sie versucht, abseits ihrer Arbeit ein normales Privatleben zwischen Kinobesuchen und Männerbekanntschaften zu verbringen…
Kritik:
Ein richtiger Arthouse-Film abseits des Mainstreams, in schwarz-weiß gedreht und sowohl in spanisch, als auch mixtekisch mit Untertiteln – das ist ein Film, den man wohl eher auf dem Kultursender Arte erwarten würde, als auf der Streaming-Plattform Netflix. Und dennoch: Netflix hat sich damit an ein ganz besonderes Werk herangetraut, das sich sicherlich nicht an die große Masse der Zuschauer richtet – hat damit allerdings auch Preise abgeräumt.
Der Zwiespalt
Der mexikanische Film ist nämlich ein ganz besonderes, einfühlsames Drama mit einer sehr speziellen Thematik. Und auf den ersten Blick sogar ziemlich banal, denn wir begleiten den Alltag einer mixtekischen Haushälterin dabei, wie sie den Haushalt einer wohlhabenderen Familie erledigt. Klingt nicht spannend, ist es aber umso mehr, denn Regisseur Alfonso Cuaron lässt die Körpersprache seiner Darsteller sprechen, um damit tatsächlich Emotionen und Dramaturgie aufzubauen. Es sind diese zahlreichen Momente, in denen Cleo sich immer wieder in einem Zwiespalt befindet und damit emotional aufrührt: Sie gehört einerseits zur Familie dazu und dann doch wieder nicht. Sie lebt einerseits in einer gehobenen Umgebung und wird dann doch wieder mit ihrer Armut konfrontiert. Etwa dann, wenn die ganze Familie einen Film vor dem Fernseher ansieht und sie in Geborgenheit mit den Kindern kuschelt – und dann doch wieder aufgefordert wird, den Haushalt zu erledigen. Oder dann, wenn die Familie ihr bei Problemen liebend zur Seite steht – und sie sich dennoch der Tatsache bewusst ist, bei dem kleinsten Fehlverhalten auf der Straße landen zu können. „Roma“ schockiert den Zuschauer, ohne dabei tatsächlich schlimme Szenen zu zeigen und ohne dabei wirklich anzuprangern. Er lässt den Zuschauer mit einem mulmigen Gefühl zurück, wenn er die Situation allein durch die großartigen darstellerischen Leistungen von Yalitza Aparicio begriffen hat.
Terror im Alltag
„Roma“ schockiert allerdings auch noch mit anderen Dingen, die der Film gar nicht zeigt. Rund um die Arbeit von Cleo spitzen sich schließlich politische Unruhen zu, gewalttätige Aufstände auf den Straßen sind längst zur Normalität geworden. Viel davon sehen werden wir allerdings nicht, denn das Drama beschränkt sich auf einige wenige Blicke auf dem Fenster, bei denen wir Menschen beobachten, die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Gerade diese Realitätsnähe aber macht den Film so schockierend, wenn wir die Familie dabei beobachten, in dieser schwierigen Zeit einen ganz normalen Alltag zu leben. Wenn sie die Militärparaden vor ihrer eigenen Tür selbst beim Gang über die Straße unbeeindruckt ignorieren. Diese Normalität kann aber auch verstörend sein, wenn die jungen Kinder im Grundschulalter am Essenstisch sitzen und gänzlich abgestumpft davon berichten, wie einem anderen Kind auf der Straße von einem Soldaten in den Kopf geschossen wurde. „Der ist jetzt tot“, heißt es da aus Kindermund – als wäre das etwas völlig Normales. „Roma“ also hat es gar nicht nötig, explizite Gewalt zu zeigen, um den Zuschauer emotional zu berühren.
Dramatische Sozialstudie
Spannend wird der Film nämlich eher durch andere Inhalte, die den Film noch näher an den Charakteren und ihrem komplizierten, von Armut bedrohten Alltag zeigen. Dramaturgie kommt nämlich etwa dann auf, wenn sich Cleo mit einer komplizierten Schwangerschaft konfrontiert sieht – und hin und her gerissen ist zwischen der Hilfe durch ihre Arbeitgeberfamilie und der Angst vor dem Zusammenbruch ihrer Existenz andererseits. Vor allem in dieser schwierigen politischen Situation, die sehr subtil und allgegenwärtig präsentiert wird. Etwa, weil der Partner selbst mit einer zu großen Existenzangst zu kämpfen hat, als dass er bereit wäre, ein Kind groß zu ziehen. Oder weil jener Partner sich plötzlich selbst den Unruhen anschließt, statt seine Frau zu unterstützen, die er kurzerhand aus Verzweiflung im Stich gelassen hat. Man möchte – zumindest im Ansatz – Charaktere finden, die wir hassen können und mit denen wir sympathisieren wollen. So richtig gelingt das allerdings nicht. Denn „Roma“ steht inhaltlich in starkem Kontrast zu seiner Optik: Während das Bild über keinerlei Farben verfügt, haben die Charaktere davon umso mehr. Kein Wunder, dass das Drama von Alfonso Cuaron so schnell Preise abräumen konnte. Noch weniger verwunderlich, dass Filme wie dieser eine große Debatte um Netflix-Produktionen bei der Oscar-Verleihung anstoßen.
Glaubwürdigkeit durch Originalton
Denn vor allem ist jede Einstellung, jede Szene und jedes Stilmittel am Ende doch sehr durchdacht. Um die Distanz zwischen Cleo und ihrer Arbeitgeberfamilie zu wahren und die Unterschiede in ihrem Status umso mehr zu verdeutlichen, orientiert sich „Roma“ auch an einer Realitätsnähe. Zweisprachig sollte der Film schließlich sein, um selbst sprachliche Barrieren zu inszenieren: Die Arbeitgeberfamilie, die ausnahmslos in der „höheren“ Sprache, dem Spanischen spricht. Und Cleo mit ihrer Kollegin, die sich auch gerne in dem nicht so gern gesehenen „niederen“ mixtekisch unterhalten, durch den sie von der Familie nicht verstanden wird und mit ihrer Kollegin auch einmal private Dinge austauschen kann, die nicht für die Arbeitgeber bestimmt sind. So anstrengend und abschreckend es für manchen Zuschauer sein kann, Untertitel lesen zu müssen: In diesem Fall war die Entscheidung, den Film im Originalton mit Untertiteln zu belassen, die wohl beste, die Netflix hätte treffen können. Denn mit einer Synchronisation hätte diese Glaubwürdigkeit nicht annähernd vergleichbar gewirkt. Für manche Entscheidungen muss man diese Plattform einfach lieben.
Fazit:
Netflix kann auch Arte: Mit Schwarz-Weiß-Bildern, einer Zweisprachigkeit mit Untertiteln und einer ganz besonderen Bildsprache ist „Roma“ ein sehr spezielles Drama, das im radikalen Kontrast zum üblichen Mainstream-Programm der Plattform steht. Eine Arthouse-Produktion, die mit hoher Sensibilität, einer beeindruckenden Realitätsnähe und einer starken Körpersprache den schwierigen Alltag während der politischen Unruhen in Mexiko schildert. Ein Meisterwerk, das sich aber nicht für jeden Zuschauer eignet.
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