Anna Maria arbeitet als Arzthelferin in einer Radiologie-Praxis und ist trotz ihres ständigen Umgangs mit modernen medizinischen Geräten, von zahlreichen Ängsten geplagt. Besonders die Sexbesessenheit der heutigen Gesellschaft macht ihr da zu schaffen, weshalb sie sich immer mehr zu ihrem geliebten Herrn Jesus hingezogen fühlt. Als streng gläubige Katholikin, die sich sogar mit Selbstgeißelungen quält, kann sie auf gar keinen Fall mit ansehen, wie ihre Umgebung immer mehr vom Glauben abfällt. So macht sie es sich im Urlaub zur Aufgabe, Österreich endlich wieder richtig katholisch zu machen und versucht mit ihrer Wandermuttergottes-Statue die Nachbarschaft zu bekehren. Bald jedoch kehrt ihr Ehemann, ein gläubiger Muslim im Rollstuhl, von seiner mehrjährigen Reise in Ägypten zurück. Der Beginn eines Glaubenskrieges…
Kritik:
Im zweiten Teil der „Paradies“-Trilogie lässt es sich Regisseur Ulrich Seidl erneut nicht nehmen, mit kontroversen Themen zu punkten. Nun will er – ganz gemäß des Titels – die Krankhaftigkeit der strengen Auslebung einer Religion vor Augen führen. Doch ist dieser Film auch für unreligiöse Zuschauer erträglich?
Religiöser Fanatismus
Bedenkt man, dass es sich bei dieser Trilogie um die Darstellung einer ganzen Familie handelt, wirkt die Rolle der Anna Maria schon fast ironisch. Immerhin ist sie doch die Schwester der Teresa, die wir aus dem ersten Film aus der „Paradies“-Trilogie noch kennen. Die nämlich hat sich immerhin in Afrika dem Sextourismus hingegeben und stellt wohl so ziemlich das absolute Gegenteil der Anna Maria dar, die wir in diesem Film zu sehen bekommen. So manchem Atheisten mag da wohl der berühmte Gedanke kommen: „Die spinnen, die Religioten“. Immerhin handelt es sich bei der Hauptrolle um eine religiöse Fanatikerin, die sich ganz und gar ihrem geliebten Herrn Jesus unterworfen hat. Für den Zuschauer heißt das: Gebete, religiöser Gesang und Selbstgeißelung in einer Wohnung voller Kruzifixe im Minutentakt. Ein Atheist braucht bei diesem Film tatsächlich stahlharte Nerven.
Auf den Spuren der Jehova
Dabei ist die Rolle natürlich insgesamt fast schon überspitzt und gerade deshalb so unterhaltsam. Die Ängste einer typischen streng religiösen Person, gemäß all den Sünden die von der Kirche immer wieder gepredigt werden, sind in einer modernen Gesellschaft schließlich allgegenwärtig. Der freizügige Sex ist dabei genauso verwerflich, wie das alltägliche Fernsehprogramm, mit dem sich die Mitmenschen regelmäßig berieseln lassen. Kaum ein Ausweg gibt es jedoch in einer Welt zwischen Orgien und Unterhaltungsmedien, was Anna Maria schnell zur Verzweiflung bringt – und uns irgendwie zum Schmunzeln. Da provoziert Ulrich Seidl natürlich nur allzu gerne mit Gruppensexorgien im Park und treibt die Sorgen und Ängste einer Katholikin so sehr auf die Spitze, dass ihre Absurdität schon mehr als offensichtlich wird. Unterdessen müssen wir uns bei ihren Missionierungsversuchen im Stile der Zeugen Jehovas aber beinahe fremdschämen und sind zugleich froh darüber, sie nicht in unserem Hause begrüßen zu müssen.
Jesus ist geil!
Tatsächlich schafft es der Regisseur allerdings noch mal einen drauf zu setzen und sorgt selbst bei sexuellen Sünden für noch mehr Ironie und Absurdität – und vor allem für echte Provokationen. Mit einer Szene, in der sich Anna Maria mit einem Kruzifix nachts in ihrem Bett selbst befriedigt, könnte sich „Paradies: Glaube“ glatt zu einem Skandalfilm mausern. Man sollte also auf gar keinen Fall ein Problem damit haben, wenn „religiöse Gefühle“ verletzt werden, denn auf die nimmt der Film nicht allzu viel Rücksicht. Eigentlich ist der zweite Streifen der „Paradies“-Trilogie mehr eine Kampfansage an den fanatischen Glauben und eine Aufzählung von Kuriositäten und Absurditäten. Leider macht er aber eben gleichzeitig den Fehler, unreligiöse Menschen mit ständigem christlichen Unfug schnell auf die Nerven zu fallen – und verscheucht damit seine potentielle Hauptzielgruppe.
Mein Gott hat den Längsten
Ein wenig unterhaltsamer wird es dann allerdings, wenn der muslimische Ehemann plötzlich wieder auftaucht. Hier beginnt ein echter Glaubenskrieg, bei dem wahrlich beide Religionen nicht allzu gut wegkommen. So manches Mal muss man sich der Frage stellen, ob streng ausgelebter Katholizismus nicht sogar noch gefährlicher und fremder, wenn nicht gar kranker ist, als der gewöhnliche Islamismus. Immerhin wirkt der religiöse Muslim, der immerhin jeden Tag seinen Gebeten nachgeht, gegen die dominante Katholikin beinahe harmlos. Interessant auch, dass Ulrich Seidl einmal mehr mit klassischen Klischees und Geschlechterrollen aufräumt, denn „Paradies: Glaube“ entspricht erneut nicht dem typischen Denkmuster vieler Menschen. Die bekannten dominanten muslimischen Männer, denen sich die Frau grundsätzlich unterzuordnen hat, versuchen hier eher erfolglos die Oberhand zu gewinnen. Die Frau hat hier als Katholikin ganz klar die Hosen an und zeigt ihrem muslimischen Ehemann schon, welchen Glauben er gefälligst auszuleben hat. Für den Dritten, den Zuschauer, ist das ganz schön unterhaltsam und oftmals witzig, wenn das alte Ehepaar gegenseitig versucht, die Religion des anderen aus dem Hause zu verbannen. So oder so ist auch dieser Film wieder ein Streifen, über den es noch zahlreiche Diskussionen geben wird – qualitativ kommt er durch seinen eher nervigen religiösen Stil aber bei weitem nicht an den ersten Teil der Trilogie heran.
Fazit:
Glaubenskrieg im Wohnzimmer: Im zweiten Teil der „Paradies“-Trilogie werden zwei Religionen gegeneinander ausgespielt und ihre Absurditäten besonders hoch gehalten. Das ist unterhaltsam, nervt aber mitunter durch überhäufte Verwendung der religiösen Symbolik.