Ben Jonson wollte eigentlich immer nur eines: Ein berühmter Dichter werden und seine besten Stücke auf dem großen Theater spielen. Doch in einer Zeit, in der das Theater noch als große Sünde galt und lediglich Queen Elizabeth I. begeistert von dieser neuen Kunst war, schien zunächst kaum eine Möglichkeit, tatsächlich selbst auf der großen Bühne seine eigenen Kreationen zu präsentieren. Ganz zu schweigen davon, dass auch seine Qualität bei weitem nicht so gut war, wie die seiner Konkurrenz. Allen voran Edward de Vere, der Earl von Oxford, der auf Grund seiner hohen politischen Stellung niemals in der Lage wäre, seine Werke als sein eigen auszugeben. Er bietet Ben die Chance seines Lebens: Unter dem Pseudonym William Shakespeare soll er die Stücke auf die Bühne bringen – und damit sowohl zum erfolgreichsten Dichter aller Zeiten aufsteigen, als auch im Sinne von Oxford großen Einfluss auf die Politik nehmen. Doch die Frage bleibt, wer wohl der wahre Autor von „Romeo und Julia“ und vielen anderen großen Stücken sein mag…
Kritik:
Nein, in diesem aufwändigen historischen Drama geht es nicht um die Gruppierung aus Internetaktivisten namens „Anonymous“, sondern um niemand geringeres als den großen Dichter William Shakespeare. Dennoch bleibt Shakespeare anonym, denn Roland Emmerich sieht es nicht ein, die Legende als wahren Künstler anzuerkennen. Er stellt viel mehr gemäß der Oxford-Theorie in Frage, ob es sich bei Shakespeare tatsächlich um jene Person handelt, von der wir bis dato ausgehen. Stattdessen wird die These aufgestellt, der Earl von Oxford solle der wahre Autor der berühmten Dichtungen um Romeo & Julia, sowie Hamlet sein. Damit wagt sich Emmerich nicht nur auf ein riskantes Gebiet, sondern liefert uns ein gemäß dem Thema passendes düsteres Setting.
Kunst ist Sünde
Dass da dunkle kontrastarme Farben vorherrschen dürfte uns nicht verwundern, wenn doch die meist verwendete Optik eher aus schwarz, grau und braun besteht. Der Himmel ist stets grau und regnerisch, wie in England so üblich, die Gewänder ebenso düster und die Handlungen der Figuren könnten wohl kaum noch düsterer sein. Meinungs- und künstlerische Freiheit suchen wir hier vergebens, denn alles, aber auch wirklich alles wird von Staatsseite kontrolliert. Kunst, die in der Lage ist, die Meinung der Massen zu beeinflussen, soll schnellstmöglich verboten werden und als aufrührerisch unter Verschluss genommen werden. Gerade in solchen Zeiten, in denen politische Intrigen zwischen vermeintlichen Künstlern und Dichtern den Alltag wiederspiegeln, schildert „Anonymus“ äußerst glaubwürdig die schwierige Situation für angehende Schauspieler und Autoren. Da wird dann auch gerne einmal zu harten Methoden und schweren Waffen gegriffen, was Freunde von epischen Schlachte und historischen Gefechten sicherlich freuen dürfte.
Klassische Kämpfe
Bei der Action wird also nicht gerade zu hochmodernen Waffen und äußerster Brutalität gegriffen, sondern eher zu ganz klassischen Gefechten. Man nehme Degen und Mantel, gelegentlich auch ein paar uralte Schusswaffen und angsteinflößende Kanonen, und duelliert sich nur allzu gerne um Leben und Tod im Irrgarten, oder auch einmal mitten auf der Straße. Atmosphärisch hat dies einiges zu bieten, denn in puncto Kostümierung, Detailverliebtheit und Auswahl der Location beweist Roland Emmerich einmal mehr, dass er sein Handwerk versteht. Ob innen oder außen, hier wurde schlicht und einfach auf jedes noch so kleine Detail geachtet, um die Zeit des elisabethanischen Englands so glaubwürdig, wie nur möglich darzustellen. Am spannendsten ist und bleibt aber nun einmal die Story, da braucht es dann auch keine megabrutalen Kampfszenen, die wir angesichts der Altersfreigabe sicherlich auch nicht erwartet hätten.
Dichtung. Schauspiel. Kunst.
Man muss zugeben: Emmerichs neuestes Werk „Anonymus“ ist nicht gerade das zugänglichste, liefert außerdem an manchen Stellen, vor allem aber in der zweiten Hälfte, auch einige Längen. Die Handlung zieht sich gelegentlich und wir würden uns doch manches Mal etwas mehr optische Abwechslung wünschen, die uns näher an die Figuren heran bringen würde. Das ständige Dauer-Grau des Films kann auf lange Sicht durchaus etwas ermüdend in Erscheinung treten, dass wir uns doch jederzeit über Outdoor-Aufnahmen erfreuen können. Etwas Abwechslung bieten derweil allerdings die Theater-Stücke, die frei nach William Shakespeare inszeniert wurden. „Anonymus“ legt dabei erstaunlicherweise keinen Schwerpunkt auf die Bühnenkunst und ist auch selbst nicht gerade inszeniert, als handele es sich um ein Shakespeare-Stück, doch jene Stücke, welche das Filmvolk mitreißen können, sorgen auch beim Zuschauer gelegentlich für Begeisterung, was wir sicherlich den herausragenden Darstellern zu verdanken haben, die allesamt gute und solide Leistungen abliefern. So oder so hat „Anonymus“ enorm große Qualitäten und ist wahres Kunstkino mit hohem Budget – könnte zugleich aber auch vereinzelt etwas mehr Pepp vertragen.
Fazit:
Roland Emmerich wagt sich mutigen Schrittes in umstrittenes Terrain und versucht dem wahren Autor der Shakespeare-Stücke auf den Grund zu gehen. Großes Kino mit großer Kunst und viel Dramatik.