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Qntal in Oberhausen: Mittelalterliche Avantgarde mit Trinkhorn-Flöte
Folkerdey Festival: Die internationale Vielfalt des Folk in Ratingen
Annotopia Lüdinghausen: Ein Event vereint Festival und Convention
Wave-Gotik-Treffen: 18.000 Goths trafen sich in Leipzig

Archiv fürJuni, 2024


30
Jun

Qntal in Oberhausen: Mittelalterliche Avantgarde mit Trinkhorn-Flöte

Geht es um stilvoll-avantgardistische Musik aus dem Umfeld der schwarzen Szene bzw. des Gothics, denken die meisten wohl zunächst an “Deine Lakaien”. Dass auch Qntal ursprünglich wohl aus deren Umfeld stammt, lässt sich hier und da sicher auch heute noch heraushören. Ernst Horn von Deine Lakaien ist inzwischen aber längst nicht mehr dabei. Unter der Führung von Michael Popp und Sängerin Sigrid Hausen hat die Band das Zepter selbst in die Hand genommen, um sich musikalisch kreativ ausleben zu können. Das Ergebnis ist ein außergewöhnlicher Sound, dominiert von Hausens klassischem Gesang, mit dem sie sich problemlos vor ein klassisches Orchester stellen könnte. Ganz so umfangreich wird das Bühnenbild bei “Qntal” allerdings nicht, dafür aber genauso handgemacht.

Qntal im Kulttempel Oberhausen

Der Auftritt am 28. Juni 2024 im Kulttempel Oberhausen, zumeist als eher kleinere Location der schwarzen Szene bekannt, bot aber genau das, was man von einer Band erwartet, die vor allem mit ihrem Handwerk punktet. “Qntal” (die laut Wikipedia übrigens “Kan-tall” ausgesprochen werden) verzichten auf eine ausufernde Show mit Pyrotechnik oder allzu beeindruckenden visuellen Effekten. Der Auftritt erinnert in seiner Aufmachung etwas an Joe Bonamassa: Ganz ohne den Drang, ein Effektspektakel zu veranstalten, lässt die Band ihr Können an den Instrumenten für sich sprechen. Und davon gibt es reichlich, denn gefühlt scheinen “Qntal” einfach jedes Musikinstrument zu beherrschen. Fast zu jedem Song werden diese gewechselt, um einen abwechslungsreichen Auftritt abzuliefern.

Dabei gab es sogar so manch kreative und experimentelle Gegenstände zu hören. Sängerin Sigrid Hausen hat offenbar eine gewisse Freude daran entdeckt, ein zur Flöte umgebautes Trinkhorn auf der Bühne zu spielen. Den Jubel der Fans aus der Mittelalter-Szene, die zu ihrer Gewandung oftmals selbst ein Horn mit sich führen, hat sie damit jedenfalls schnell sicher gehabt. Doch auch aus dem Kehlkopf dürfen die instrumentalen Töne manchmal kommen: In der linken hinteren Ecke der Bühne versteckte sich ein Asiate, der mit einer Art mongolischem Kehlkopfgesang das Konzert begleitete und damit für Begeisterung sorgte. Die komplexe Klangabstimmung konnte dabei auch dank des ausgiebigen Soundchecks vorab bestens überzeugen.

Qntal im Kulttempel Oberhausen

Genauso kreativ dann auch die Texte: Qntal spielen häufig Songs vergangener Zeiten, häufig auch Coversongs längst vergessener Lieder. Das ist nicht immer nur in der deutschen Sprache gehalten, manchmal singt Hausen sogar in keltischer Sprache, um Songs aus dem 8. Jahrhundert in einer modernen, eigenen Interpretation zu präsentieren. Und auch wenn hier nicht wirklich klassische Musik gespielt wird: Die Vielfalt und Dynamik, die hier geboten wurde, ist spannend, wie das Konzert eines riesigen klassischen Orchesters. Mit zahlreichen Tempowechseln, Stimmungsveränderungen, Dynamik und auch so einigen Überraschungen. Kein Wunder, dass Qntal ihre Fans seit mehr als 30 Jahren hinter sich vereint. Hier gibt es Musik für die höheren Ansprüche. Und die durfte auch noch zwei Zugaben erhalten.

Fotos: Rene Daners


18
Jun

Folkerdey Festival: Die internationale Vielfalt des Folk in Ratingen

Irgendwo mitten im Grünen, ein bisschen abgelegen von der Haltestelle Felderhof, findet sich das Eisenzeitliche Gehöft, das zur Erforschung der vorrömischen Eisenzeit dient. Einmal im Jahr, wenn die Felder grün und das Wetter zumeist schön sommerlich ist, kommen hier die internationalen Stars der Folk-Szene zusammen. Das eintägige Folkerdey Festival fand am 8. Juni 2024 wieder dort statt und bot auf gleich zwei Bühnen ein umfangreiches Programm, das die Vielfalt der Folkmusic präsentierte. Das ist für manche Ohren zunächst ein wenig ungewohnt: Die Musik des Folk muss hier nicht unbedingt der allseits bekannte Irish Folk sein und auch jene Folkmusic, die wir von Mittelalterfesten und Fantasy-Festivals kennen, gehört auf dem Folkerdey nicht unbedingt zum Programm. Man könnte das Folkerdey in seiner einzigartigen grünen Location auch als ein Festival der Weltmusik bezeichnen, auf dem nahezu alles seinen Platz hat, was handgemacht ist und problemlos auch unplugged gespielt werden könnte.

Baskery auf dem Folkerdey
Banjo Punk: Baskery aus Schweden spielen Punk mit Banjo, Kontrabass und Gitarre

Das reicht dann von lokalen Bands bis hin zu Musikern aus der ganzen Welt, die hier ihre kreativen Stücke präsentieren. Tanzbar wurde es dabei allerdings schon am frühen Nachmittag: Die Berliner Band Rabajah ließ das Tanzbein des Publikums schwingen und präsentierte mit Dancehall ein Genre, das man vielleicht nicht immer so ganz mit Folk in Verbindung bringen möchte. Musikalisch klingt das dann ein bisschen wie eine Mischung aus Seeed und Jamaram, vielleicht ein bisschen rhythmischer, weniger poppig. Und vielleicht gelang es ihnen auch, das Feeling in der Bevölkerung einzufangen, das die jüngste Cannabis-Legalisierung mit sich brachte – denn manchmal geht es, typisch für Raggae und Dancehall, auch um das grüne Kraut.

Familienfreundlich ist das Folkerdey Festival dennoch und das vielleicht sogar in weitaus größerem Umfang, als bei anderen Events: Eine Altersbeschränkung für den Besuch gab es nicht, was viele Familien dazu veranlasste, gleich mit mehreren Generationen anzureisen und auch die jüngsten Kinder mit nach Ratingen zu nehmen. Der Anblick, den Besucher hier vorfinden, ist sowieso für ein Festival einzigartig: Mitgebracht werden Picknick-Decken und Klappstühle, um es sich direkt vor der Bühne mit Paella und leckeren Snacks vom spanischen Stand gemütlich zu machen. Eine kleine Taschenkontrolle vorausgesetzt, können Familien auf dieses Festival nahezu alles außer Speisen und Getränke mitbringen, was das Folkerdey zu einem einzigartigen Picknick-Festival macht. Schon damit entfaltet das Event seine ganz eigene Atmosphäre.

David Lübke Trio auf dem Folkerdey
Raum für ernste Texte: Das David Lübke Trio erzählte in ihren Songs vom Zweiten Weltkrieg

Unterdessen war auf der kleineren zweiten Bühne auch Raum für ernsthaftere Texte: Das David Lübke Trio etwa zog es vor, politische Statements lieber indirekt in seinen Texten zu verarbeiten. Neben ein paar fröhlicheren Folksongs, handelten viele Stücke auch vom Leben im zweiten Weltkrieg, vom Widerstandskampf und andere nachdenkliche Ereignisse in der Geschichte. Das ist nicht unbedingt immer tanzbar, aber auch für Ernsthaftigkeit, Emotionen und Texte zum Nachdenken hat das Publikum des Folkerdey einiges übrig. Und doch wirkten die immer wieder aufkommenden Wahl-Aufforderungen am Tag vor der Europawahl mitunter etwas nervig und deplatziert, kamen doch die meisten Besucher für musikalische Unterhaltung, statt politischer Äußerungen. Nun, sei es drum: Gefeiert wurde trotzdem und das mitunter bis spät in die Nacht. David Lübke blieb nach Mitternacht sogar für eine Unplugged Session am Lagerfeuer bei seinen Fans. Das ist echte Publikumsnähe – statt überteuerter Meet & Greet-Tickets.

Viel tanzbarer dann schon eher bei Tribubu, die schon im vergangenen Jahr das Publikum des Folkerdey begeisterten und wohl deshalb – zurecht – erneut gebucht wurden. Hier kommt die wahre internationale Vielfalt zusammen, denn bei dem Weltmusik-Quartett kommt jedes Bandmitglied aus einer anderen Region der Welt. Ein Ballafon-Spieler von der Elfenbeinküste, ein Trommler aus Spanien, ein Gitarrist und Sänger aus Groß-Britannien und ein Bassist aus Spanien – das ist die internationale Zusammensetzung von “Tribubu”. Und genau so klingt dann auch ihr Sound: Rumba, Folk, Blues, African Beat. Hier wird irgendwie alles ein bisschen vereint, um damit völlig neue Musik zu erschaffen. Spannend.

Tribubu auf dem Folkerdey
Exotische Instrumente: Das Weltmusik-Quartett Tribubu brachte ein Ballafon von der Elfenbeinküste mit

Ohnehin eignet sich das Folkerdey in jedem Jahr dafür, völlig neue Musikgenres kennenzulernen. Habt ihr schon einmal etwas von Banjo Punk gehört? Also Punk, der tatsächlich mit einem Banjo, einem Kontrabass und einer Gitarre gespielt wird. Geht nicht, dachtet ihr? Dann hätten euch die drei schwedischen Schwestern von Baskery wohl sehr schnell eines Besseren belehrt. Obwohl aus Schweden stammend, klingt ihr Sound deutlich amerikanischer und erinnert sogar einen Hauch an den bekannten Bluegrass, allerdings erheblich fetziger und flotter gespielt. Selbst wer eigentlich gar nicht so sehr auf Punkrock steht, wird spätestens nach Baskery wohl auch zum Punk-Fan geworden sein. Bei einem solchen Line Up ist es dann wenig verwunderlich, dass das Folkerdey Festival im kommenden Jahr eine Fortsetzung erhält.

Fotos: Rene Daners


08
Jun

Annotopia Lüdinghausen: Ein Event vereint Festival und Convention

Stormtrooper, Piraten oder Krieger aus der Endzeit: Cosplayer kennen wir normalerweise eher von Conventions, die in Hotels oder Messen stattfinden. Schon lange aber ist klar: Convention-Besucher haben oftmals vielfältige Interessen. Das Cosplay mögen sie oft ebenso, wie Fantasy-Serien und Stars, auf den Mittelaltermarkt haben sie aber ebenso Lust, wie auf ein Festival mit Live-Musik auf der großen Bühne. Mit der Annotopia, die unter anderem in Lüdinghausen stattfand, kam nun endlich ein Event auf die Idee, all diese Aspekte doch endlich zu vermischen. Auf dem Gelände der Burg Vischering treffen Cosplayer und Goths aufeinander, kann der Besucher vom Piratenlager in die Star Wars-Festungen wandern und sogar Synthpop trifft auf irische Klänge. Während so mancher Besucher für die Convention und das WGT in Leipzig unterschiedliche Outfits hat, kann man auf der Annotopia einfach alles gleichzeitig sein. Und damit wird dieses besondere und einzigartige Event jener Vielfalt gerecht, die in diesen interessenüberschneidenden Szenen anzutreffen ist.

Alienare @ Annotopia Lüdinghausen
Alienare präsentierten sich als Mitmachband auf der Annotopia

Ein wenig kleiner ist es in diesem Jahr allerdings geworden: Die großen Wiesen in der Stadtlandschaft nahe Burg Lüdinghausen sind komplett weggefallen, genutzt wurde nur noch die direkte Umgebung der Burg Vischering. Das Gelände damit insgesamt deutlich zusammengestaucht, denn damit ist gut die Hälfte des Festivalgeländes weggefallen. Gleichzeitig auch die zweite Bühne, die im Vorjahr noch Teil des Endzeit-Bereichs war. Nur noch die Main Stage begeisterte umgeben von Händlern und Delikatessen mit mehreren Live-Bands. Thematisch war dennoch alles vorhanden: Von Star Wars bis Endzeit, von Piraten bis Wilder Westen, hatte die Annotopia – deutlich abgespeckt – immer noch zahlreiche Cosplay-Gruppen und Lager zu bieten. Manche davon, wie die Wasteland Area sogar mit eigenem Verkaufsstand.

Der Anblick ist unterdessen schon recht interessant, wenn die verschiedensten Fans und Interessengruppen gemeinsam auf das gleiche Festival gehen. Hier kann nämlich einfach jeder sein, was immer er möchte: Die einen tragen das aufwändige Kostüm im Science-Fiction-Look, die anderen stehen in schwarzen Gothic-Klamotten und neongrüner Krawatte vor der Main Stage. Letztere fielen ohnehin auf und waren für manche Besucher ein neuartiger Anblick: Goths mit grünen Krawatten, hatte man noch nicht allzu häufig gesehen. Grund dafür war die Synthpop-Band Alienare, bestehend aus Tim Schulschenk und Timo Hanusch. Die neongrüne Krawatte zum schwarzen Hemd ist ihr Markenzeichen, während sie das Publikum aktiv zum Mitmachen animieren. Am Wochenende in Lüdinghausen durften sie gleich mehrfach auftreten.

Cobblestones @ Annotopia Lüdinghausen
Cobblestones begeisterten mit feinstem Irish Folk

Teilen mussten sie die Bühne vor allem mit den Cobblestones, mit denen sich ihre Auftritte tagsüber regelmäßig abwechselten. Ein Kontrastprogramm war das obendrein: Statt elektronische Synthesizer-Sounds gab es bei den “Cobblestones” eher einen Mix aus Irish Folk und Mittelaltermusik. Den schottischen Trinkspruch “Slàinte” hatten sie dabei gleich auswendig gelernt, um mit den Besuchern zum leckeren Bier oder Whisky anzustoßen. Musikalisch gab es dazu auch das ein oder andere Trinklied, jedoch auch ganz typischen tanzbaren Irish Folk zum Mitfeiern für die ganze Familie. Gar nicht so weit entfernt: Der Atomiq Circus, ein Open Air Endzeit-Zirkus, bei dem die Besucher nicht nur spannende Artistik zu sehen bekamen, sondern auch so manche Feuershow am Abend.

Ob man so sehr jede Interessenüberschneidung bedienen muss, dass man auf einem Fantasy-Festival gar ein Fußballspiel zeigt, darüber sind sich die Besucher der Annotopia wohl uneinig. Wer beim Familienbesuch auf der Annotopia trotzdem nicht auf das Champions League-Finalspiel von Borussia Dortmund verzichten konnte, hatte aber – ohne die anderen Besucher zu stören – im Innern der Burg die Gelegenheit dazu. Ein paar Besucher kamen dann auch gleich im passenden Trikot. Spätestens damit kann man wohl sagen: Bei der Annotopia in Lüdinghausen ist wirklich für jeden das passende Programm dabei. Das Konzept hat dich neugierig gemacht? Die nächste Annotopia findet vom 16. – 18.8.2024 in Bad Mergentheim statt und zieht im September weiter nach Rotenburg an der Fulda. Infos zu den beiden Events unter annotopia.eu

Feuershow @ Annotopia Lüdinghausen
Feuershow im Endzeit-Bereich der Annotopia

Fotos: Rene Daners


01
Jun

Wave-Gotik-Treffen: 18.000 Goths trafen sich in Leipzig

32 Jahre ist es her, dass das Wave-Gotik-Treffen, damals noch in kleinem Rahmen, zum ersten Mal zahlreiche Goths nach Leipzig lockte. Heute lockt das Event ganze 18.000 Menschen nach Leipzig und sorgte mit mehr als 15 Konzertbühnen erneut dafür, dass die große Vielfalt der schwarzen Szene auf ihre Kosten kam. Was sich seit damals verändert hat? Eigentlich nicht viel: Manche Besucher der ersten Stunde sind heute noch dabei, viele jüngere Goths gibt es auch – und einige bringen inzwischen sogar ihre Kinder mit auf das WGT. In all seinem Schwarz ist die Szene nämlich auch deutlich bunter geworden: Stilrichtungen kamen hinzu, neue Musikgenres, deutlich mehr Überschneidungen mit anderen Subkulturen. Aus Sicht des einen hat das die Szene “zu sehr verwässert”, die anderen erfreuen sich an einer nie da gewesenen Vielfalt, in der die Gothic-Szene heute nicht mehr in starren Mustern verharrt.

Auf dem Viktorianischen Picknick am Freitag Nachmittag, das heute zu einem der zentralen Bestandteile des Wave-Gotik-Treffen gehört, wurde das besonders deutlich: Tausende Besucher treffen sich hier in einem Leipziger Park, um ihre aufwändigsten Outfits und Kleider zu präsentieren. Dass das nicht mehr nur Gothic ist, wird da schnell deutlich: Hier finden sich spektakuläre viktorianische Kleider, ebenso wie aufwändige Steampunk Outfits und so manche “Kostüme”, die schon ein wenig an Cosplay erinnern. “Keine echten Goths, nur Trittbrettfahrer, die zum Schaulaufen kommen”, mögen böse Stimmen sagen. Tatsächlich aber zeigt sich, dass die Interessenüberschneidungen immer größer werden. Der Goth von heute trägt das Schwarze auf dem Konzert, das Cosplay auf der Comic Con und das Steampunk Outfit auf dem Viktorianischen Picknick. Die Vielfalt wird deutlich. Der Zeitgeist des modernen Goths entspricht dem Gedanken der Diversity. Einer Subkultur, in der ihre Angehörigen Goths und Nerds zugleich sein dürfen. Und das auch zunehmend zelebrieren.

Viktorianisches Picknick auf dem WGT
Ein Besucher beim Viktorianischen Picknick

Das wird auch auf den zahlreichen Konzerten des Wave-Gotik-Treffen deutlich, die sich auf die gesamte Stadt Leipzig verteilen. Was ist eigentlich Gothic? Was hört ein Goth heutzutage? Diese Frage lässt sich gar nicht mehr so leicht beantworten, denn die Antworten dürften selbst innerhalb der Szene vielfältig ausfallen. Die einen mögen den dunklen Rock, die anderen tanzen zu hartem Electro, wieder andere erfreuen sich an mittelalterlicher Musik oder Pagan Sounds. Selbst mit dem “Cholo Goth” von Prayers, einer Art Mischung aus Electro Wave und mexikanischem Oldschool Hip Hop, ist längst ein weiteres neues Genre entstanden, das auf dem WGT prompt eine Bühne bekam, um zu testen, wie dieser neuartige Stil beim Publikum ankommt. “Kontrovers” könnte man sicher sagen. Aber auch nicht weniger kontrovers, als etwa This Morn’ Omina, die im Täubchenthal eine Art Ritual Noise spielten – eine Mischung aus Pagan und hartem Elektro.

Spannend zu sehen, wie sich die Szene teilweise je nach Genre auf die Locations aufteilt und sich auf dem WGT zeigt, dass sich innerhalb dieser schwarzen Szene nochmal ganz eigene Subkulturen entwickeln. Den “traditionellen” Goth zieht es immer wieder in den Felsenkeller, wo Bands aus Metal und Neue Deutsche Härte den sogenannten “schwarzen Mainstream” zelebrieren. Den Cybergoth mit seinen neonfarbenen Plastikhaaren findet man hingegen eher dort, wo harter Electro und Noise die Halle zum Beben bringen. Der EBMler im militärisch angehauchten schwarzen Hemd hört zwar auch Electro, mag es aber doch lieber etwas mehr Old School und trifft sich wieder in ganz eigenen Locations. Und selbst das Heidnische Dorf, der Mittelaltermarkt des WGT beweist, dass es sogar gar nicht immer schwarz sein muss, um sich der Szene doch ein wenig angehörig zu fühlen.

Editors auf der Main Stage / Agra
Editors begeisterten beim Mitternachtsspecial auf der Agra

Die Besucher des WGT sind vereint in Schwarz und doch so vielfältig, wie kaum eine andere Szene. Für Schaulustige und Bewohner der Stadt Leipzig dadurch besonders spannend: Da es sich beim WGT um ein dezentrales Festival handelt, dessen Locations sich über die ganze Stadt verteilen, wird ganz Leipzig von Goths bevölkert. In jeder Seitenstraße, in jeder Gasse, an jeder Ecke: Überall Menschen in schwarz, in ihrer maximalen Vielfalt, wie sie die Szene zu bieten hat. Dabei zeigt sich die schwarze Szene auf dem Wave-Gotik-Treffen auch immer wieder als Safe Space für Szeneangehörige aller Art. Männer in Frauenkleidern sind hier ebenso wenig eine Besonderheit, wie schwarze Militäruniformen, auf denen Trans- und Regenbogenflaggen aufgenäht sind. Daran ändert auch der ein oder andere Vorwurf nichts, das WGT würde eine rechte Band buchen. Toleranz, Rücksicht und Freundlichkeit wird auf dem WGT groß geschrieben. Das zeigt sich auch darin, dass die Goths auch nachts um 2 Uhr nach der letzten Band und dem fünften Bier noch immer überaus friedlich sind.

Am Ende kommen sie immer wieder sogar an einem zentralen Ort zusammen: Das alte Messegelände der Agra ist Dreh- und Angelpunkt des WGT. Es ist Main Stage, Campsite und Shopping Area in einem. Dort treten die ganz großen Bands der Szene auf: Während Editors, die mit ihrem Hit “Papillon” die schwarzen Discos eroberten, vor allem von vielen ausländischen Fans bejubelt wurden, bewies der Veranstalter mit der etwas fröhlicher angehauchten Electropop-Band Ladytron auch einen gewissen Mut. Auch “alte Hasen” der Szene, etwa die etwas blutigere Aggrotech-Band Agonoize durften die große Main Stage bespielen und mit The Beauty of Gemina kamen sogar hier die traditionelleren Goths auf ihre Kosten. Insgesamt aber zeichnet sich das WGT Jahr für Jahr dafür aus, auch all jenen Bands eine Bühne zu bieten, die auf den anderen Gothic-Festivals kaum berücksichtigt werden. Kleine Electro-Band wie Agnis aus Polen gehören da genauso dazu, wie Abu Nein aus Schweden oder die Future-Pop-Band Angels & Agony. Und genau mit dieser Mischung ist das WGT seit über 30 Jahren erfolgreich.

Stimmgewalt in der schwarzen Schille
Auch für Besucher ohne Bändchen gab es Programm: “Stimmgewalt” halfen mit Gothic a cappella beim Spendensammeln für den guten Zweck

Fotos: Rene Daners