29
Nov
Red Dead Redemption 2
Kritik:
Ein Jahr ist es bereits her, dass die Konsolenspieler sich in das Abenteuer im Wilden Westen stürzen durften und mit dem Gesetzlosen Arthur Morgan auf Raubzüge gingen. Nun ist das umfangreiche Spiel von Rockstar Games auch auf dem PC erschienen und verspricht dabei noch einige optische Verbesserungen.
Am Ende des Wilden Westens
„Red Dead Redemption 2“ spielt dabei in schwierigen Zeiten, wenn sich im Jahre 1899 der Wilde Westen zunehmend seinem Ende neigt. Schwierige Zeiten vor allem für Gesetzlose und ihre Banden, für die Raubüberfälle und Ermordungen immer mehr zu einer Herausforderung werden. Eine Zeit nämlich, in der in den Vereinigten Staaten allmählich die Ordnung einkehrt. In der die kleinen Städte des Wilden Westens nicht mehr nur von einfachen Sheriffs bewacht werden, sondern die Gesetzeshüter richtige Armeen aufstellen und auch private Sicherheitsdienste wie die Pinkerton Detective Agency praktisch mit einer Privatarmee im Auftrag großer Unternehmen arbeiten. Für Dutch van der Linde und seine Truppe, die diesen Wandel einfach nicht wahrhaben wollen, wird es damit immer schwieriger, sich etwa mit einem Ölbaron anzulegen, dessen Sicherheitskräfte zahlenmäßig in der Überzahl sind. Spielerisch ist das allerdings recht gut so, denn „Red Dead Redemption 2“ ist kein Spiel, das mit Action am Fließband daher kommt.
Soziales mit Gewalt
Man könnte auch sagen: Dieses Spiel bietet trotz der durchaus zahlreich vorhandenen Gewalt keine Schießbudenaction, sondern vor allem eine umfangreiche Story mit einem starken Fokus auf das Soziale und Zwischenmenschliche. „Red Dead Redemption 2“ spielt sich nämlich in etwa wie ein über fünfzig Stunden langer Westernfilm, in dem es inhaltlich einfach alles gibt, was ein solches Szenario braucht. Spannende Zugüberfälle, klassische Schießduelle, raue Saloonschlägereien – aber vor allem eine fantastische Ausarbeitung der Charaktere. Das Spiel schafft es dabei, zu keinem Zeitpunkt unter Längen zu leiden, sondern den Spannungsbogen kontinuierlich sehr weit oben zu halten. Dafür sorgen praktisch alle Figuren in unserer Bande: Hier geht es um Freundschaft, Sehnsüchte, Verrat, aber auch den Zusammenhalt der Familien. Wann immer wir in den Kampf ziehen oder Gegner ermorden: In diesem Spiel bekommt der Spieler immer ein Motiv, das ihn emotional mitreißt und die Hauptfigur zu einer charakterlich vielfältigen Person macht, die sich in ihren Handlungen sowohl von der guten als auch schlechten Seite zeigen kann.
Tarantino lässt grüßen
Bereits im ersten Kapitel des Spiels entpuppt sich dabei seine großartige Atmosphäre, die selbst so manchen Film in den Schatten stellt: Wenn wir mit unserer Bande bei Nacht durch den hüfthohen Schnee wandern und die kleine Lampe in unseren Händen für das nötige Licht sorgt, bekommt „Red Dead Redemption 2“ bereits in den ersten Minuten des Spiels eine Atmosphäre, die wir sonst allenfalls bei Quentin Tarantinos „The Hateful 8“ geboten bekommen. Doch das ist längst erst der Anfang, denn vor allem die grafischen Qualitäten, die der Konsolenversion deutlich überlegen sind, sorgen auch im weiteren Verlauf für die passende Stimmung. Etwa, wenn wir uns mit der Kutsche durch die feuchten dichten Wälder nach einem Regen bewegen und dabei die Luftfeuchtigkeit förmlich sehen und spüren können. Wenn der dreckige Matsch in der Stadt Valentine unsere Stiefel umschlingt und wir so richtig merken, wie rau und hart die Landschaften des Wilden Westens doch waren. Aber auch, wenn wir mal wieder ein Lagerfeuer aufschlagen und die beeindruckende Weitsicht über die Berge des Wilden Westens genießen. Optisch macht „Red Dead Redemption 2“ dabei alles richtig und hat immer wieder starke Momente zu bieten, die uns schlicht beeindrucken.
Staatsfeind Nr. 1
So richtig gelungen ist das aber erst, weil auch die Spielwelt selbst zu einem realistischen und lebendigen Ort ausgearbeitet wurde. Fast überall auf der großen Open World-Karte des Spiels treffen wir auf die verschiedensten Tiere und wer nicht regelmäßig bewusst in den Wäldern auf die Jagd geht, wird sogar nach dem Ende des Spiels feststellen, dass er längst nicht alle Lebewesen des Spiels entdeckt haben wird. Dasselbe gilt allerdings auch für die NPCs, die mit ihrem Zufallsverhalten für richtige Abwechslung sorgen. Wo auch immer wir durch die Wildnis reiten, können wir auf andere Mitmenschen stoßen, die uns in irgendeiner Weise ansprechen. Verletzte, die von ihrem Pferd gefallen oder vom Baum erschlagen wurden, hilflose Frauen auf der Durchreise in ihre Heimat oder aber auch Gesetzlose, die sich bewusst organisieren, um uns plötzlich an einer Brücke auszurauben. Spannend, wie geschickt sie dabei mit Tricks vorgehen, in dem sie etwa vorgaukeln, auf Hilfe angewiesen zu sein, um uns dann, wenn wir aus Naivität vom Pferd absteigen, zu überfallen.
KI auf dem Weg zur Perfektion
So richtig stark wird eben diese KI allerdings erst, wenn sie auf unsere Handlungen tatsächlich reagiert. Beispielsweise, wenn wir in einer Nebenquest einen Fotografen vor gefräßigen Wölfen beschützen und dieser plötzlich inklusive vertonter Sprachausgabe darauf hinweist, dass wir mit der Waffe nicht auf die Wölfe zielen müssten – natürlich nur dann, wenn wir dies tatsächlich tun. Die KI reagiert also wirklich auf unsere Handlungen und passt sich auch in den Dialogen an unsere Spielweise an, die keineswegs vorgegeben wird. Wie gut das funktioniert, erkennen Spieler dann bei komplexeren Situationen, bei denen sich die KI vorausgegangene Ereignisse merken. So ist es etwa möglich, einen NPC zu fesseln und zu entführen. Verlieren wir diesen dann aus den Augen, weil wir zum Beispiel ein Gebäude betreten, kann es passieren, dass der NPC sich befreien kann, mit unserem Pferd abhaut und uns einen an unser Verhalten angepassten Spruch drückt. Und das, obwohl wir keineswegs zwingend mit einem Pferd unterwegs sein müssten – der NPC reagiert in diesem Fall darauf, ob ein Pferd in der Nähe ist oder nicht und interagriert ggf. mit diesem. Treffen wir selbigen NPC später dann in einer Stadt erneut an, erinnert er sich an uns, rennt vor Schreck zum Sherriff und hetzt ihn auf uns – es sei denn, wir sind schnell genug, ihn aufzuhalten und einzuschütern. Man kann an dieser Stelle ohne Bedenken sagen: „Red Dead Redemption 2“ bietet die beste KI, die wir bisher jemals in einem Spiel gesehen haben – und das ist beeindruckend.
GTA im Wilden Westen
Spielerisch erinnert das Spiel ansonsten vor allem an die typischen Spielelemente aus „Grand Theft Auto“ und kopiert doch so manches Gameplay daraus. Wenn also der ein oder andere Spieler behauptet, „Red Dead Redemption 2“ sei ein „GTA im Wilden Westen“, dann trifft das in gewisser Weise durchaus zu. So finden wir auf der Open World-Map schließlich ebenso die nächsten Missionen, die mit dem Standort eines bestimmten NPCs markiert sind, wie dies auch in den letzten GTA-Spielen der Fall war. Erst einmal angekommen, startet die jeweilige Mission mit einer kleinen Zwischensequenz, führt uns in die entsprechende Story ein und geht dann hinsichtlich seines Gameplays auch änhlich vor, wie wir das bereits aus GTA zu genüge kennen. So wenig innovativ das auf den ersten Blick erscheint, ist schwer davon ausgehen, dass dies auch einige Vorteile mit sich bringt: Bei aller Komplexität, die das Verhalten der KI im freien Spiel mit sich bringt, verringern die gescripteten Missionen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Anfälligkeit für Storybugs. Der genaue Ablauf der Missionen ist schließlich recht eng vorgegeben, was auch an den Kontrollpunkten, die sich bei einem Fehlschlag wiederholen lassen, erkennbar ist.
Keine Langweile auch in ruhigen Momenten
Wie gut also, dass jene Missionen zugleich aber auch die notwendige Abwechslung in das Spiel bringen. Nur selten haben wir hier das Gefühl, gewisse Dinge schon einmal erlebt zu haben und der mehr oder weniger lineare Ablauf der Quests sorgt derweil dafür, dass überraschende Wendungen innerhalb der Missionen kein Problem darstellen. Da kann plötzlich auch mal ein NPC entführt werden, Gegner überraschen uns oder alles läuft eben ganz anders ab, als wir das zu Beginn erwartet hätten. Natürlich immer mit einem starken Fokus auf die Charakterentwicklung und die Geschichte. Manche Missionen können dabei allerdings auch einen etwas ruhigeren Charakter annehmen, etwa aus längeren Ritten durch die Wildnis inklusive tiefgründiger Unterhaltungen bestehen, einen Abend am Lagerfeuer zu bieten haben oder andere auch gewaltfreie Formen der Auseinandersetzung mit sich bringen. Dem ein oder anderen Shooter-Fan könnte das zu langweilig und langatmig erscheinen. Wer sich darauf einlässt, bekommt jedoch echte Western-Atmosphäre geboten, die uns an die Filmklassiker der 70er Jahre erinnert, in denen zwischenmenschliche Auseinandersetzungen oft auch mal subtil ablaufen.
Alles für die Ehre
Anders als in „Grand Theft Auto“ ist unser Hauptcharakter Arthur Morgan allerdings nicht so sehr gezwungen, den Bösen zu spielen, wie man das angesichts der recht linearen Missionen erwarten würde. Wenngleich wir hier in die Rolle eines Mitglieds einer Verbrecherbande schlüpfen, beinhaltet „Red Dead Redemption 2“ ein Wertesystem, durch das wir unsere Figur zu einem ehrenhaften oder unehrenhaften Charakter formen können – was vor allem von unseren Handlungen im freien Spiel abhängt. Also davon, ob und welchen Personen wir helfen oder wem wir schaden zufügen. Die Ermordung eines unbeteiligten Zivilisten etwa oder das Ausrauben einer Leiche verringert die Ehre unserer Figur und sorgt etwa bei Händlern für negativere Reaktionen uns gegenüber – zumindest, wenn wir bei den Verbrechen beobachtet werden. Helfen wir hingegen etwa hilflosen Frauen oder Verletzten, spricht sich das ebenso herum und unsere Ehre bei den Menschen in der Bevölkerung steigt, sodass wir mit etwas Glück sogar Rabatte beim Einkauf erhalten. Es liegt also oftmals am Spieler, ob wir einen guten oder schlechten Menschen spielen wollen. Und manchmal fordern uns auch die Missionen zu Entscheidungen auf.
Deutsche in Amerika
Für deutsche Spieler, die der englischen Sprache nicht perfekt mächtig sind, bedeutet das aber auch, dass sie ziemlich viele Untertitel lesen müssen. „Red Dead Redemption 2“ kommt nämlich ausschließlich mit einer englischen Sprachausgabe daher – deutscher Ton fehlt hier komplett. Das ist allerdings, wie sich im Laufe des Spiels manches Mal zeigt, gar nicht so schlimm, sondern eher positiv, denn es sprechen tatsächlich nicht alle NPCs englisch. So treffen wir im Laufe der Handlung auch auf deutsche Siedler, die dann auch originalgetreu mit deutscher Sprachausgabe sprechen, während Arthur deshalb massive Verständigungsprobleme hat und versucht, mit einfachem Englisch trotzdem eine Unterhaltung zu führen. Das steigert die Glaubwürdigkeit der Fremden, die sich im Gebiet der indianischen Ureinwohner breit machen, enorm. Spannend dann, wenn sogar andere Sprachen, wie etwa spanisch eine Rolle in diesem Spiel spielen werden. Die Verständigungsprobleme, die für die Handlung nicht immer unwichtig sind, würden mit einer deutschen Synchronisation nicht annähernd so gut funktionieren.
Vulkan oder DirectX 12
In der Hinsicht unterscheidet sich das Westernabenteuer auch keineswegs von der Konsolenversion. Dafür sind die Unterschiede vor allem bei der Grafik umso größer, denn im direkten Vergleich liegt die grafische Qualität der Konsolenversion etwa bei niedrigen bis mittleren Grafikeinstellungen der PC-Version. Vor allem auf hoch und ultra kann sich das PC-Spiel optisch sichtbar abheben und punktet vor allem mit verbesserten Licht- und Wettereffekten, die die ohnehin schon geniale Atmosphäre weiter optimieren. Dabei haben PC-Spieler nicht nur die Wahl zwischen zahlreichen Grafikoptionen, sondern können auch zwischen DirectX 12 und der Vulkan-API wählen. DirectX 12 sorgte dabei in unserem Test für geringfügig höhere Framerates, während „Red Dead Redemption 2“ unter Vulkan vor allem in den Städten wesentlich stabiler lief und sich Abstürze verhindern ließen. Gleichzeitig hatten wir zumindest den subjektiven Eindruck, dass Nebel- und Feuchtigkeitseffekte mit Vulkan etwas realistischer und atmosphärischer in Erscheinung traten.
Kinderkrankheiten auf dem PC
Schade ist allerdings, dass die PC-Version zugleich mit diversen technischen Problemen daher kommt, die vor allem zum Release für schwerwiegende Fehler sorgten. So waren einige Spieler anfangs gar nicht in der Lage, das Spiel überhaupt zu starten und zumindest dieser Fehler dürfte mit den letzten Patches inzwischen behoben sein. Auf unserem Test-PC lief „Red Dead Redemption 2“ zuletzt stabil und flüssig. Trotzdem kann es vor allem auf 4-Kern-CPUs noch zu so starken Framerateeinbrüchen kommen, dass es zu mehrsekündigen Freezes kommt, die das Spiel nahezu unspielbar machen. Zumindest dies lässt sich mit einem entsprechenden Startbefehl, der die CPU-Auslastung anders ausbalanciert, verhindern. Weitere Fehler traten darüber hinaus in den Grafikeinstellungen auf, wenn die Kapazität des Grafikspeichers bei Verwendung von Vulkan nicht richtig angezeigt wurde und die Einstellungen deshalb nicht über ein bestimmtes Limit heraus erhöht werden konnten (zum Testzeitpunkt noch nicht behoben) und wenn während der Missionen so manche Trigger nicht auslösten, die bestimmte Scripts verursachten. Dies ließ sich in unserem Test dann mitunter nur durch einen Neustart der jeweiligen Mission lösen.
Spiel des Jahres?
Trotzdem: Kann man über die technischen Schwächen der PC-Portierung hinwegsehen, bekommt man mit „Red Dead Redemption 2“ eines der besten, umfangreichsten und detailliertesten Spiele des Jahres geboten. Denn abseits der diversen Bugs ist die Umsetzung der KI auch für die heutige Zeit noch bahnbrechend, die Story schlichtweg grandios und auch das Detailreichtum der Spielwelt übersteigt in manchen Punkten selbst das herausragende „The Witcher 3“. Und hat man es dann erst einmal geschafft, „Red Dead Redemption 2“ einwandfrei und flüssig zum Laufen zu bekommen, ist dieses Western-Epos schlichtweg ein Genuss, der selbst auf fünf Jahre alten Rechnern noch mit hohen Einstellungen in guten Framerates spielbar ist. Mit einer Gesamtspielzeit von über 50 Stunden ist das Spiel dabei außerdem jeden Cent wert und dürfte so manchen über mehrere Wochen hinweg begeistern.
Fazit:
Das extrem umfangreiche Westernspektakel von Rockstar Games darf gut und gerne als „Spiel des Jahres“ bezeichnet werden: In der spannenden Story rund um die Verbrecherbande des Gesetzlosen Arthur Morgan begegnen wir einer beeindruckend lebendigen Spielwelt, in der die KI auf jede unserer Handlungen glaubwürdig reagiert, erleben eine abwechslungsreiche Story mit zahlreichen klassischen Westernmomenten und tiefgründige kantige Charaktere, die auch mal in ruhigen Momenten unter Beweis stellen dürfen, dass die Charakterzeichnung dieses Spiels alles andere als schwarz-weiß ausgefallen ist. Ein Meisterwerk der Spielekunst.